Dem "Stromer" gehört die Zukunft

Aktive des Löschzugs Hiddenhausen Schweicheln-Bermbeck lernen Zukunftstechnik kennen

DSC 0901Sie brauchen keinen Tropfen Benzin, sind kaum zu hören, haben eine beachtliche Beschleunigung und gelten als Fortbewegungsmittel der Zukunft: Die Rede ist von Elektroautos. Geht es nach dem Willen der Politik, dann soll deren Zahl in den kommenden Jahren sprunghaft steigen. Auf welche möglichen Gefahren die Einsatzkräfte der Feuerwehr vorbereitet sein müssen, wenn ein solcher „Stromer“ in einen Verkehrsunfall verwickelt ist, darüber informierten sich jetzt die Aktiven des Löschzugs Schweicheln-Bermbeck.

Die ständig steigenden Spritpreise sind ein echtes Ärgernis. Fieberhaft wird in der Industrie nach alternativen Antriebstechniken geforscht. Autos mit Ergas- oder Flüssiggasantrieb haben sich bereits etabliert. Fahrzeuge mit Hybridantrieb, sie verfügen über eine herkömmliche Verbrennungsmaschine und mindestens einen Elektromotor, sowie reine Elektroautos gehören allerdings noch zu den „Exoten“ auf unseren Straßen. Doch das Angebot ist in den letzten Monaten gewachsen: „iMiEV“, „Leaf“, „Kangoo“, „Ampera“ und Co. gibt es mit der zukunftsweisenden Technologie bereits zu kaufen. Eine Million fahrbare Untersätze mit E-Motor, so das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung, sollen bis 2020 auf den Markt gebracht werden.

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Der Nissan „Leaf“ ist nicht nur von außen ein modernes Auto. Ein großer  Sonnenblumenaufkleber und …


Schon heute kann ein „Stromer“ in einen schweren Unfall verwickelt sein. „Für unsere Leute ist daher wichtig zu wissen, wie die Fahrzeuge zu erkennen sind und welche einsatztaktischen Besonderheiten sich gegenüber herkömmlichen Modellen ergeben“, sagt Nicholas Jost, Leiter des Löschzugs Schweicheln-Bermbeck. „Wir müssen daher auf die E-Autos vorbereitet sein!“ Mit Magnus Mattern kommt ein Fachmann aus den eigenen Reihen.  Der Mitarbeiter des gleichnamigen Autohauses und Aktiver der Freiwilligen Feuerwehr Hiddenhausen ist mit dem Nissan „Leaf“ zum Gerätehaus an der Herforder Straße gekommen. Das „reinrassige“ Elektroauto steht nun in der Fahrzeughalle und wird von den Feuerwehrleuten neugierig begutachtet. „Elektro- und Hybridmotoren sind mit modernen Lithium-Ionen-Akkus ausgerüstet“, erläutert Mattern. Der Automobilfachmann beschreibt die Batterien als Kraftpakete, die sich durch eine hohe Energiedichte und geringe Selbstentladung auszeichneten. „Die Hochvoltbatterien sorgen für eine Gleichspannung von 400 – 650 Volt“, weiß Mattern. Die Energie werde dann im Wechselrichter, der sich unter der Motorhaube befinde, in Wechselstrom umgewandelt, den das E-Auto zum fahren benötige. Man muss schon genau hinschauen, um den Unterschied zu erkennen: Lediglich der Schriftzug „Zero Emission“, ein großer Sonnenblumenaufkleber, der nicht vorhandene Tankdeckel und fehlende Auspuff weisen den „Leaf“ von außen als Elektrofahrzeug aus. Beim Blick unter die Motorhaube offenbaren sich den Wehrleuten weitere Details der zukunftsweisenden Technologie. Alle Bauteile der Hochvoltanlage sind zur Sicherheit orangefarben und mit Warnaufklebern versehen. Das gilt natürlich ebenfalls für die dick ummantelten Stromkabel, die von der Hochvoltbatterie zum Motorraum führen. Mattern appelliert an seine Kameraden:  „An der Hochvoltanlage darf nur speziell geschultes Werkstattpersonal arbeiten!“ Die Stromkabel sind bei manchen Fahrzeugen in den Seitenschwellern, bei anderen Modellen unter dem Fahrzeug verlegt. „Kommen hydraulische Rettungsgeräte zum Einsatz, um einen eingeklemmten Autofahrer zu befreien, muss deshalb höllisch aufgepasst werden!“ Bevor es an die Rettungsarbeiten gehe, sollten die Wehrleute auf jeden Fall mit isolierenden Hochvolthandschuhen und speziellem Gesichtsschutz ausgerüstet sein, rät der Feuerwehrmann.

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…der Schriftzug „Zero Emission“ weisen daraufhin, dass…

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… unter der Motorhaube ein Elektromotor „werkelt“.

Der Nissan „Leaf“ verfügt nach Herstellerangaben über 48 Energiezellen, die in der Bodenpartie verbaut sind. Sie sind in Fließmatten gebunden und damit gut geschützt. „Die Autohersteller betreiben einen großen technischen Aufwand, um auszuschließen, dass die Batterien in Brand geraten“, sagt Magnus Mattern. Außerdem schaltet sich die Hochvoltanlage eines Elektrofahrzeugs bei einem Unfall in aller Regel automatisch ab, sobald die Airbags oder Gurtstraffer ausgelöst haben. Sollte das nicht geklappt haben, gibt es für die Einsatzkräfte weitere Möglichkeiten, die Anlage lahm zu legen, etwa durch Aktivierung einer speziellen Trennstelle. Auch nach der Deaktivierung, so Mattern, könne im Bordnetz allerdings noch bis zu 10 Minuten lang eine Restspannung vorhanden sein. Weiterhin muss die normale 12 Volt Batterie ebenfalls abgeklemmt werden, da sonst die Rückhaltesysteme, wie nicht ausgelöste Airbags, weiterhin aktiv sind und für die Einsatzkräfte zur Gefahr werden können. E-Autos sind üblicherweise mit einer elektrischen Parkbremse ausgestattet. Ein kleiner Knopf übernimmt dabei die Funktion des altbekannten Handbremshebels. Die elektrische Feststellbremse arbeitet immer mit maximaler Kraft und lässt sich wunderbar als Berganfahrhilfe verwenden, da sie sich beim Losfahren automatisch abschaltet. Bei einem Stromausfall im Wagen sorgt eine selbst sperrende Mechanik für eine Notbremsfunktion. Magnus Mattern rät trotzdem, die Räder eines verunglückten Elektroautos auf jeden Fall zu unterkeilen, damit der Wagen auf keinen Fall wegrollen könne. Ein „Stromer“ bremst übrigens während des Betriebs hauptsächlich mit dem Motor und gewinnt dadurch Energie zurück, die in die Batterie eingespeist wird.
Wo die Spannung führenden Komponenten im Einzelnen zu finden sind, darüber gibt eine spezielle Rettungskarte Aufschluss. Auf ihr sind alle Gefahrenquellen für die Feuerwehrleute, von den Gasdruckstoßdämpfern der Heckklappe, über die Gasgeneratoren für die Airbags bis zur Hochvoltanlage eingezeichnet. Solche Rettungskarten gibt es für alle gängigen Automodelle. Nicholas Jost: „Auf dem Computer im Einsatzleitwagen der Feuerwehr Hiddenhausen sind die Rettungskarten aller gängigen Fahrzeugmodelle gespeichert!“

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Magnus Mattern erläutert die Besonderheiten der neuen Antriebstechnologie.

Kommt es tatsächlich zum Kurzschluss einer Hochvoltbatterie, so haben Tests gezeigt, dann kann es zur Ausbildung eines elektrischen Lichtbogens und einem anschließenden Feuer kommen. Ein solcher Brand könnte dann nur mit großen Mengen Wasser unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes gelöscht werden, raten Experten der Landesfeuerwehrschule Baden Württenberg. Vorsicht ist in jedem Fall geboten: Im ungünstigsten Fall kann das eingelagerte Lithium der Batterie zusammen mit dem Löschwasser reagieren und Wasserstoff bilden. In der Umgebungsluft kann so ein zündfähiges Gemisch entstehen. Löschversuche mit Metallbrandpulver werden  in Expertenkreisen für fragwürdig gehalten, da die unbeschädigten Batteriezellen auf diese Weise nicht gekühlt werden könnten.  
Ein gewisser Schwachpunkt von Elektroautos ist zurzeit noch ihre relativ geringe Reichweite. Die Ingenieure arbeiten mit Hochdruck an der Lösung dieses Problems. Nicht nur der Motor, sondern gerade auch die elektrische Heizung „fressen“ viel Energie. Der Nissan „Leaf“ bringt es immerhin auf eine Reichweite von rund 170 Kilometer und ist damit durchaus alltagstauglich. Gut acht bis zehn Stunden dauert es dann, bis die Batterie wieder mit haushaltsüblichem Wechselstrom aufgeladen ist. Es geht auch schneller: Über eine zweite „Schnellladesteckdose“, die ebenfalls im Kühlergrill des Autos untergebracht ist, kann die Batterie mit einer speziellen Ladestation verbunden und direkt mit Gleichstrom versorgt werden. „Ein solcher Ladevorgang dauert dann gut 30 Minuten“, schildert Magnus Mattern. Auf jeden Fall macht das Fahren mit einem Elektroauto sehr viel Spaß. „Der Wagen beschleunigt in null Komma nichts“, schwärmt ein  Feuerwehrmann, nach der Rückkehr von einer Probefahrt mit dem Nissan „Leaf“.  

Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)
 


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Der Innenraum wurde von den Designern ebenfalls zukunftsweisend gestaltet.

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Achtung: Alle Hochvoltkomponenten u. –Leitungen sind orangefarben.

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Über zwei Steckdosen im Kühlergrill wird das Batteriepaket mit Gleichstrom (linker Anschluss) oder Wechselstrom (rechter Anschluss) versorgt.

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Trennstelle im Fond zur (manuellen) Deaktivierung der Hochvoltanlage

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„Mäusekino“ auf dem Armaturenträger: Hier können der Batterieladestand (oben) u. die Temperatur der Akkus (links) abgelesen werden.

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Machen sich mit der neuen Technik vertraut: (v.l.) Olaf Peters, Patrick Flachmeier u. Fabian Stadelmann vom LZ Schweicheln-Bermbeck

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Rettungskarte für ein E-Auto (Auszug): Hochvoltanlage (orange), 12 V Batterie (gelb),
Airbags u. Gasgeneratoren (blau), Gurtstraffer (rot), Gasdruckdämpfer (grün) (Quelle: Nissan Center Europe GmbH)