"Landrat ruft Großschadenslage aus: Krankenhaus wird vorsorglich geräumt"

Kreiseinsatzleitung probt Horrorszenario während Stabsrahmenübung

DSC 0268Kreis Herford/Hiddenhausen-Eilshausen. Ostwestfalen ist von einem heftigen Unwetter erfasst worden.  Auf der Werre rollt eine  Hochwasserwelle durch den Kreis Herford. Teile der Herforder Innenstadt werden überflutet; das Mathilden-Hospital muss geräumt werden. Der Führungsstab der Feuerwehr stand am Wochenende (21.03.-22.03.2014) vor einer solchen Großschadenslage. Für die Kreiseinsatzleitung, die unter anderem um Fachberater des Technischen Hilfswerks (THW), des Roten Kreuzes (DRK) und der Bundeswehr  aufgestockt worden war, ging es darum, das simulierte Höllenszenario über zwei Tage hinweg im Stabsraum der neuen Kreisleitstelle „operativ-taktisch“ abzuarbeiten. „Die moderne Technik konnte dabei unter realitätsnahen Bedingungen getestet werden“, so stellvertretender Kreisbrandmeister und Übungsleiter Bernd Kröger; auch wenn alles theoretisch abgelaufen und tatsächlich kein einziger Helfer ausgerückt sei.

Kröger und sieben weitere höherrangige Feuerwehrleute hatten die Lage zuvor über eine Woche hinweg an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) in Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) ausgearbeitet. Mitarbeiter der  Akademie,  die zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gehört, sind nun nach Herford gekommen. Sie werden das Vorgehen des Führungsstabs, der unter Leitung von Kreisbrandmeister Wolfgang Hackländer steht und aus den Sachgebieten 1 (Personal), 2 (Lage), 3 (Einsatz), 4 (Versorgung), 5 (Presse- und Medienarbeit) und 6 (Information und Kommunikation) besteht, in den kommenden Stunden genau analysieren. Die Übungsleitung hat sich in der benachbarten Kreisfeuerwehrzentrale einquartiert. „Statisten“ stehen beispielsweise als „Einsatzleiter vor Ort“,  „Wetterexperten“ oder „Zeitungsredakteure“ bereit, um dem Stab per Telefon oder Computer die geforderten Auskünfte zu liefern oder Informationen abzufragen. Das „Drehbuch“ für die so genannte Stabrahmenübung umfasse 150 Einspielungen, sagt Kröger, der beim Kreisfeuerwehrverband für den Ausbildungsbereich zuständig ist. Zu einer Verschärfung der Situation  werde es nur kommen, sofern das bisherige Lagebild sauber abgearbeitet worden sei.
Am Freitagnachmittag ist Landrat Christian Manz gemeinsam mit hohen Verwaltungsbeamten in die Kreisleitstelle gekommen. „Jeder von Ihnen trägt eine hohe Verantwortung!“ Manz bedankt sich dafür, dass sich die Menschen auf die Führungskräfte verlassen können. Klaus-Dieter Tietz, der am AKNZ für die Durchführung von operativ-taktischen Stabsrahmenübungen zuständig ist, lobt die gute Ausstattung. „Ihr Stabsraum gehört sicherlich zur Oberklasse.“ In den nächsten Stunden gehe es darum, die neue Technik wirkungsvoll einzusetzen. Dann wird der Führungsstab mit der Ausgangslage konfrontiert, die sich in der Zukunft abspielen soll: Seit dem späten Donnerstagabend (31.07.2014) ist lang anhaltender Starkregen in der Region niedergegangen. Orkanböen bis zu 120 Stundenkilometer haben unzählige Bäume umknicken lassen. Vielerorts sind bereits Feuerwehrleute mit der Beseitigung von Sturm- und Wasserschäden beschäftigt. Aufgrund einer Verschärfung der Situation hat der Landrat am heutigen Freitag (1.08.2014) die Großschadenslage ausgerufen. Die Anspannung steigt, als Thomas Twelsiek, er ist als Lagedienstführer der Verbindungsmann zur Funkzentrale im Obergeschoss, die letzten Informationen verbreitet. Die Werre habe am Pegel  Ahmsen (Lippe) zurzeit einen Stand von 3,30 Meter (Normalstand: 0,5 Meter) erreicht. Weiter stromaufwärts sei bereits die Panzerbrigade 21 der Bundeswehr im Einsatz, um in Höhe Pottenhausen einen aufgeweichten Deich auf einer Länge von 100 Meter zu stabilisieren. 220 Schafe und 300 Schweine habe man im Lipperland von einem Bauernhof retten müssen. Danach wird die Tür des Stabsraums geschlossen und das „Spiel“ beginnt.

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Landrat Christian Manz (im Hintergrund rechts) u. AKNZ-Mitarbeiter Klaus-Dieter Tietz (im Hintergrund links)
begrüßen die Seminarteilnehmer. Sie sind vom Erfolg der „operativ-taktischen Stabsrahmenübung“ überzeugt.

Um 14:10 Uhr meldet der Kreisbrandmeister den Stab einsatzbereit und übernimmt die Einsatzleitung. Die Sachgebiete beginnen mit der Informationsbeschaffung. Besonders kritisch scheint die Situation im Stadtgebiet Herford. Die Straße Weddigenufer steht bereits unter Wasser. Das Hochwasser breitet sich sowohl über das westliche, als auch über das östliche Werreufer weiter aus. Betroffen sind die Wiese-, Katzbach- und Leipziger Straße, wo bereits zahlreiche Keller voll Wasser gelaufen sind. Teilweise flüchten die Menschen aus diesem Gebiet. Michael Stiegelmeyer, Rudi Altehoff und Christian Ehlert vom Sachgebiet 3 (Einsatz) veranlassen in einem ersten Schritt die Alarmierung sämtlicher Feuerwehreinheiten aus dem Kreisgebiet. Hinzu kommen die THW- und DRK-Ortsverbände. Die Kräfte werden nach und nach aus ihren Standorten abgerufen. Außerdem sind zwei Bereitschaften der Bezirksreserve sowie Helfer zum Aufbau eines Betreuungsplatzes 500 auf dem Weg ins Kreisgebiet. Anfragen nach speziellen ölhydraulisch angetriebenen Hochleistungsschwimmpumpen laufen bei den Berufsfeuerwehren Osnabrück, Duisburg und Hannover. Der Patiententransportzug 10 und Behandlungsplatz 50 aus Bielefeld sowie der DRK-Hilfszug Nottuln (Module Pflege, Betreuung und Trinkwasseraufbereitung) werden in Alarmbereitschaft versetzt. Der Stab zieht mittlerweile die Unterstützung der Bundeswehr ebenfalls in Erwägung. Sie werden beim Abfüllen von Sandsäcken und sichern der Werredeiche gebraucht. Die beiden Fachberater des Kreisverbindungskommandos der Bundeswehr, Oberstleutnant d.R. Bernd Ehlebracht und  Flottillenapotheker Jochen Rasche, holen dazu die nötigen Informationen beim Landeskommando ein.  Auf dem Gelände eines Baustoffhändlers an der Oberen Kreienbrede ist bereits eine Abfüllstation „Sack und Sand“ eingerichtet worden. Die Menschen werden über Radiodurchsagen und Lautsprecheransagen der Polizei gewarnt.
Während des Lagevortrags am Abend hat Nicholas Jost vom Sachgebiet 2 (Lage) die neusten Pegelstände der Werre parat: Lage-Pottenhausen 3,30 Meter fallend, Ahmsen 4,20 Meter stagnierend, Herford 5,35 Meter steigend, Löhne 4,15 Meter steigend. Der Stab verfügt über spezielles Kartenmaterial des Werre-Wasserverbandes, das die Auswirkungen eines Jahrhunderthochwassers berücksichtigt. Als so genannter HQ 100-Wert wird für die Werre ein Pegel von 5,55 Meter (Herford) angegeben. Timo Müller vom DRK Vlotho (Sachgebiet 4, Versorgung) berichtet, dass die angeforderten Deichsicherungswände in acht bis 10 Stunden vor Ort sein könnten. Weiterhin würden 200.000 gefüllte Sandsäcke geliefert.

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Christian Ehlert vom Sachgebiet 3 (stehend) holt bei den Fachberatern der Feuerwehr
(v.l. André Storck, Ulrich Imort u. Peter Mende) Informationen ein.

Im Verlaufe der nächsten Stunden spitzt sich die Lage am Mathildenhospital in Herford zu. Da es zu Problemen mit der Energieversorgung kommen könnte,  laufen die Vorbereitungen für eine evtl. Räumung des Krankenhauses, das bereits seit einigen Stunden keine Notfälle mehr aufnimmt. Nach Informationen des Leitenden Notarztes (LNA) und medizinischen Fachberaters Marco Kauling, wären bei einer 85-prozentigen Auslastung des Hospitals rund 180 Patienten von einer Räumung betroffen. Die Einsatzleitung zieht im Verlaufe der späten Abendstunden rund 450 Helfer im Einsatzabschnitt „Evakuierung“ zusammen. Darunter befinden sich sechs Patiententransportzüge 10, Intensivtransportwagen und Busse. Ein  Großraumrettungswagen kommt aus Hannover. Nachdem die nötigen Bettenkapazitäten in anderen Krankenhäusern der Region zur Verfügung stehen, entscheidet der Stab mit der Räumung zu beginnen.
Mittlerweile sind im Kreis Herford mehr als 2.300 Kräfte aller Hilfsorganisationen im Einsatz. Alleine vom THW seien 13 Technische Züge und fünf „Fachgruppen Wasserschaden“ in die Einsatzabschnitte Herford und Löhne ausgerückt, meldet Fachberater Marcel-Etienne Gose vom Ortsverband Bünde. Sie seien mit Hochleistungspumpen vor Ort und kümmerten sich um den Betriebsstofftransport. Das Hochwasser hat zu erheblichen Beeinträchtigungen der  Verkehrsinfrastruktur geführt. Die Bundesstraßen 61 und 239 sind teilweise gesperrt. Die A 30 ist zwischen Melle und Bad Oeynhausen nur noch für geländefähige Einsatzfahrzeuge passierbar. Der Bahnverkehr ist ebenfalls betroffen, nachdem im Kreis Minden-Lübbecke der Triebwagen eines ICE aus dem Gleis gesprungen ist.
Die letzte Lagebesprechung des Führungsstabs wird durch eine Blitzmeldung unterbrochen. In einem Galvanikbetrieb an der Eupener Straße in Herford soll es brennen. Kräfte der Grundsicherung werden in Marsch gesetzt. Das Sachgebiet 5 (Presse und Medienarbeit) veranlasst eine KATWARN-Meldung, nachdem die Feuermeldung bestätigt wird: „Die Bewohner sollen Türen und Fenster geschlossen halten!“
„Sie haben das Ziel erreicht!“, bescheinigt AKNZ-Mitarbeiter Klaus-Dieter Tietz dem Führungsstab während der Abschlussbesprechung. Nach anfänglichen Schwierigkeiten sei im Verlaufe von zwei Tagen ein hohes Niveau erreicht worden. Kreisbrandmeister Wolfgang Hackländer und sein Stellvertreter Bernd Kröger zeigen sich ebenfalls zufrieden. Hackländer sieht den Führungsstab ausreichend motiviert, um in Zukunft gemeinsam schwierige Einsatzlagen anzupacken. „250.000 Einwohner im Kreis Herford verlassen sich auf uns!“

Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)

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Die Straße Weddigenufer verläuft in Herford direkt entlang der Werre. Sie wäre bei einer Hochwasserlage unmittelbar betroffen.

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Nicholas Jost (S 2) bringt die Lagekarte auf den neusten Stand.

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Im Sachgebiet 1 und 4 wird gerechnet: Es geht um die Personalstärke und Versorgung der Einsatzkräfte.

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Auf einer Tafel sind die aktuellen Pegelstände der Werre im Bereich Ahmsen, Herford u. Löhne festgehalten.

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Am Pegel Ahmsen ist die HQ 100-Marke mit einer Wellenlinie aufgemalt.

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Am 8./9. Februar 1946 ereignete sich in Herford die letzte große Flut.
Werre und Aa traten über die Ufer und überfluteten große Teile des Stadtgebietes. …

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… das Wasser stand stellenweise bis zu 1,50 Meter in den Straßen.
An einem Gebäude an der Hansabrücke erinnert die  Hochwassermarke an den historischen Wert.

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Große Lagebesprechung mit den Sachgebieten (im Vordergrund) und den Fachberatern (im Hintergrund).

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Die Übersichtstafel mit den eingesetzten Kräften in den einzelnen Einsatzabschnitten wird vom Sachgebiet 2 ständig aktualisiert. …

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… das gilt ebenso für die Aufstellung der Kräfte für den Grundschutz, der freien  und angeforderten überörtlichen Einheiten.

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Das Mathildenhospital in Herford bildet einen Einsatzschwerpunkt.

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Spezialkarte des Werre-Wasserverbandes: Sie zeigt die Auswirkungen eines Jahrhunderthochwassers.

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Mario Daume führt das Einsatztagebuch.

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Lagebesprechung im Sachgebiet 2 mit dem Leiter des Stabes, KBM Wolfgang Hackländer (im Hintergrund)

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Die Fernmelder der IuK-Gruppe aus Bünde u. Löhne sind für die Nachrichtenübermittlung zuständig.

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Manöverkritik: Thomas Prüssmeier hat die Rolle des Moderators übernommen.