Die Respektlosigkeit hat zugenommen

Verband der Feuerwehren NRW beklagt zunehmende Gewalt gegenüber Einsatzkräften

Wasserwerfer-EilmeldungWuppertal/Essen/Kreis Herford. Sie kommen um zu helfen und werden stattdessen angepöbelt, bedroht oder im Extremfall sogar geschlagen. Polizisten sind längst nicht mehr die einzigen „Prügelknaben der Nation“. Immer häufiger richten sich die Aggressionen aus dem Volk auch gegen den Rettungsdienst und die Mitarbeiter der Feuerwehr. Jüngstes Beispiel sind die Vorfälle im Ruhrgebiet während der Neujahrsnacht. Dort wurden Feuerwehr und Polizei gezielt mit Raketen beschossen und mit Böllern und Bierflaschen beworfen. In einer Stellungnahme hat Feuerwehr-NRW-Geschäftsführer Christoph Schöneborn die zunehmenden Anfeindungen gegenüber den Einsatzkräften beklagt.

Randale im Ruhrpott
In Essen war ein Feuerwehrmann während eines Brandeinsatzes mit einer Feuerwerksrakete attackiert und im Gesicht getroffen worden.  Er soll einen Nasenbeinbruch und ein Knalltrauma erlitten haben. Ähnlichen Aggressionen sahen sich die Helfer in Dortmund und  Hagen ausgesetzt. Zu Silvester sei wieder einmal die Respektlosigkeit der Feierenden gegenüber der Feuerwehr und dem Rettungsdienst spürbar gewesen, heißt es in einer Pressemitteilung der Feuerwehr Essen. Christoph Schöneborn bestätigt diesen Eindruck gegenüber der WAZ: Die Zahl der Fälle, in denen ein Rückzug der Feuerwehrleute nötig werden könnte, steige seit zehn Jahren an. „Das fängt mit Beleidigungen und Spuckattacken an und endet in Fällen wie in Essen.“ In Hamburg wurde bereits vor einiger Zeit reagiert und die Alarm- und Ausrückeordnung den geänderten Verhältnissen angepasst. Wird der Rettungsdienst an der Alster zu einer Schlägerei gerufen, rückt grundsätzlich eine komplette Löschfahrzeugbesatzung mit aus, um den Sanitätern den Rücken freizuhalten. Die Berliner-Feuerwehr setzt hingegen auf besseres Material, um ihre Leute zu schützen. In der Bundeshauptstadt wurden Löschfahrzeuge mit Panzerglas beschafft.

Wissenschaftliche Untersuchung
Am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB) wurde das Problem der Gewalt gegen Einsatzkräfte bereits wissenschaftlich untersucht und zwar im Auftrag der Unfallkasse NRW, die das Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Feltes auch finanzierte. Fazit der Studie: 98 Prozent der Rettungskräfte in NRW haben bereits verbale Gewalt erlebt. Von Erfahrungen mit mindestens einem aggressiven Übergriff berichteten 59 Prozent. „Die Täter sind in fast 90 Prozent der Fälle männlich“, schreibt Wissenschaftlerin Julia Schmidt, die Autorin der Studie. Die These einer höheren Kriminalitätsbelastung bei Menschen mit Migrationshintergrund konnte sie in diesem Zusammenhang weder bestätigen noch widerlegen.   Die Rettungskräfte beklagten im Übrigen, dass sie nur unzureichend auf die Gewaltexzesse vorbereitet und oftmals mit solchen Situationen überfordert seien. Es wurde der Wunsch nach gezielteren Angeboten in der Aus- und Weiterbildung geäußert. Mögliche verbeugende Maßnahmen sind für Christoph Schöneborn Deeskalationstrainings. Die würden in einigen NRW-Städten bereits angeboten. Für die Studie der RUB waren im Jahr 2011 über 2.000 Mitarbeiter von Rettungsdiensten und Berufsfeuerwehren in sechs Städten und Kreisen in NRW befragt worden. Beteiligt waren  zwei „Metropolstädte“ (Essen und Dortmund), zwei kreisfreie Großstädte (Mülheim a.d. Ruhr und Remscheid) sowie die Flächenkreise Düren und Warendorf.

In OWL sieht es nicht viel besser aus: Rettungsassistent Marco Peters erzählt.
Was sicherlich nicht überrascht, ist die Erkenntnis, dass es wesentlich häufiger zu Gewalt gegen den Rettungsdienst in den „Metropolstädten“ kommt. Doch auch in OWL sind die Helfer tagtäglich zumindest mit verbalen Attacken konfrontiert. Marco Peters ist Rettungsassistent beim Kreis Herford und Feuerwehrmann in Hiddenhausen. In einem Gespräch mit dem KFV berichtet der 24-Jährige von besonders krassen Situationen aus dem Einsatzalltag, die er in seinem kurzen Berufsleben bereits ertragen musste. In einem Fall, Peters war damals noch für das Rote-Kreuz in Bad Salzuflen tätig, sei es ihm und seinem Kollegen nur mit Mühe gelungen, einen alkoholisierten Patienten in den Rettungswagen „zu verfrachten“. Der Mann, der eine Gehirnerschütterung und Platzwunden erlitten hatte, beleidigte die beiden Helfer auf das Übelste. „Das war für mich nicht unbedingt relevant, da ich beinahe wöchentlich mit so etwas  konfrontiert werde“, sagt Peters. Doch auf dem Weg ins Krankenhaus hätte sich der Mann plötzlich von der Trage losgeschnallt und sei auf seinen Kollegen losgegangen. Peters stoppte daraufhin den Krankenwagen und eilte zur Hilfe. „Es war ein Gefühl der Angst und teilweise Hilflosigkeit in einem so engen Raum von einem doppelt so schweren Menschen angegriffen zu werden“, erinnert sich der 24-Jährige mit Schrecken.  Die herbeigerufene Polizei fackelte schließlich nicht lange. Sie beförderte den renitenten Mann  nicht  ins Krankenhaus, sondern in ihr Gewahrsam.
In einem anderen Fall war höchste Eile geboten. Noch auf dem Gehweg mussten Peters und sein Kollege eine bewusstlose Person wiederbeleben. Ein Nachbar fand das aus einem ganz anderen Grund dramatisch. Peters hatte nämlich dessen Einfahrt mit dem Rettungswagen zugeparkt. „Der Mann forderte mich mit mehreren Beleidigungen dazu auf, das Fahrzeug unverzüglich zu entfernen, sonst würde er die Polizei rufen!“ Die musste dann tatsächlich kommen um den grotesken Streit zu schlichten.

Schärfere Strafen gefordert

Die zwischenzeitliche Verschärfung der Paragraphen 113 und 114 des Strafgesetzbuchs (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen) haben die Bochumer Wissenschaftler in ihre Untersuchungen eingeschlossen. Feuerwehrleute und andere Rettungskräfte werden neuerdings wie Polizisten in den Schutzbereich des § 114 StGB einbezogen. „Der Nutzen für eine verbesserte Sicherheit kann stark angezweifelt werden“, heißt es in der Studie der RUB. Feuerwehrverband und Polzeigewerkschaft fordern vielmehr seit langem, Attacken auf den Rettungsdienst sowie die Feuerwehr und Polizeibeamte schärfer zu ahnden und als eigenen Straftatbestand zu behandeln.

-Vo-

Wasserwerfer-Eilmeldung
Polizei und Feuerwehr beklagen die zunehmende Gewalt im Einsatzalltag. (Foto: Eilmeldung)

C-Schoeneborn-VdF
Christoph Schöneborn (VdF NRW): „Rettungsdienst und Feuerwehr sind
bei ihren Einsätzen immer häufiger Anfeindungen ausgesetzt!“ (Foto: VdF NRW)

M-Peters-Rett-Ass
Rettungsassistent u. Feuerwehrmann Marco Peters: „Mit Beleidigungen werde ich beinah wöchentlich konfrontiert!“ (Foto: J. Vogelsang)

Häufigkeit von Gewalt im Einsatzdienst
grafik1
Angaben in Prozent (Grafik: Ruhr-Uni Bochum)

Art des jeweiligen gewalttätigen Übergriffs
grafik2
Angaben in Prozent (Grafik: Ruhr-Uni Bochum)