Rausfahren, wenn andere reinkommen

Vom Ruderboot zum Seenotrettungskreuzer

vormansteffenBremen/Hooksiel/Berlin. Sie ist die Feuerwehr auf hoher See. Ihre Helfer retten Jahr für Jahr hunderte Menschen vor dem sicheren Ertrinkungstod. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) feiert in diesem Jahr ihr 150jähriges Bestehen. Zwischen Borkum im Westen und Ueckermünde im Osten unterhält die Organisation 54 Seenotstationen. Sie werden fast ausschließlich aus Spendengeldern finanziert. In Hooksiel an der Nordsee, dort wo Einheiten aus dem gesamten Kreis Herford am 5. Juni 2015 zur Großübung „Blitzfeuer“ erwartet werden, ist die „Vormann Steffens“ stationiert – ein Boot der 27,5-Meter-Klasse mit über 3.000 PS.

Eine Wattwanderung ist ein Erlebnis für Jung und Alt. Doch die Gefahren der Gezeiten werden immer wieder unterschätzt. Das auflaufende Wasser kommt unerwartet und ehe man sich versieht ist der Rückweg zum Festland abgeschnitten. Die DGzRS-Helfer kennen den Leichtsinn mancher Touristen nur allzu gut. Sie sind in einer solchen Situation oftmals  Retter in letzter Minute, so wie im August 2013. Ein Ehepaar, beide 52 Jahre alt, ist an diesem Sonnabend mit ihrem  Mischlingshund „Moritz“ auf dem Rückweg von einer Wattwanderung. Das Festland scheint bereits zum Greifen nahe, als sich zwischen den Wattwanderern und der Küste plötzlich ein tiefer Priel auftut, der sich zügig mit Wasser füllt.   Ein Passant am Ufer erkennt die Situation und verständigt den Notruf. Der zuständige DGzRS-Seenotkreuzer, der sich gerade auf Kontrollfahrt „im Revier“ befindet, wird von der Seenotleitung in Bremen verständigt. Die Mannschaft nimmt mit Höchstgeschwindigkeit Kurs auf das angegebene Seegebiet. Für das Paar  entwickelt sich der erholsame Samstagnachmittag-Sparziergang an der frischen Nordseeluft währenddessen zu einem Drama. In seiner verzweifelten Lage versucht es den Priel zu durchschwimmen.  Innerhalb kürzester Zeit treibt die Strömung die Frau, den Mann und den Vierbeiner weit auseinander. Sie werden bereits von den Wellen überspült. „Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen“, berichtet die Frau später. Doch die Seenotretter kommen - wie so oft - gerade noch einmal rechtzeitig. Über die Heckklappe lassen sie das kleine Tochterboot zu Wasser. Kurz darauf ziehen die DGzRS-Helfer zunächst den Mann an Bord und wenig später die völlig erschöpfte Frau. Ihr Hund, der sich als guter Schwimmer gezeigt hat und dem Land am nächsten ist, wird ebenfalls gerettet. Im Stationsgebäude erholen sich das Paar und ihr Vierbeiner allmählich.

bremen
Von Bremen aus, dort wo die DGzRS ihren Sitz hat, werden die Einsätze

der Seenotretter koordiniert.  (Foto: DGzRS)

Seit Gründung der Organisation im Jahr 1865 verdanken fast 82.000 Menschen ihr Leben dem mutigen und selbstlosen Eingreifen der DGzRS-Mannschaften. Alleine im vergangenen Jahr wurden 768 Menschen aus Seenot gerettet. In der Anfangszeit waren die Rettungsstationen mit offenen Ruderrettungsbooten, Korkschwimmwesten und einfachen Raketenapparaten zur Herstellung von Leinenverbindungen zu havarierten Schiffen ausgestattet. Die Motorisierung der Flotte begann schließlich 1911. Heute verfügt die DGzRS über eine der vorbildlichsten Rettungsflotten weltweit. Annähernd 60 moderne und leistungsstarke Seenotrettungskreuzer und Rettungsboote verteilen sich  auf 54 Stationen entlang der Nord- und Ostseeküste. Rund 180 fest angestellte und mehr als 800 freiwillige Rettungsmänner und -frauen sind bei jedem Wetter, an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr einsatzbereit. Die Betriebsführungszentrale der DGzRS befindet sich in Bremen. „Bremen Rescue“, so der Funkrufname der Seenotleitung, ist rund um die Uhr  mit erfahrenen Nautikern und Funkern besetzt. Sie übernehmen die Hörwache auf UKW-Kanal 16 sowie UKW-DSC-Kanal 70 und wickeln den kompletten Notruf- und Dringlichkeitsfunkverkehr ab.  Geht ein Hilfeersuchen ein, sind die ersten Informationen oft noch ungesichert. Dennoch sind vom Wachleiter viele Entscheidungen zu treffen: Welche Seenotkreuzer können am schnellsten vor Ort sein? Sind weitere Schiffe oder Hubschrauber zur Unterstützung nötig? Ist ärztliche Hilfe erforderlich?
Im Jahr 1994 kehrten die Seenotretter nach Hooksiel zurück, nachdem die Station in den Dreißigerjahren zunächst aufgelöst worden war. Um bei Einsätzen weiter draußen auf dem Meer schneller vor Ort sein zu können, verlegte die Gesellschaft den leistungsstarken Seenotkreuzer „Vormann Steffens“ von Wilhelmshaven in den Hooksieler Außenhafen. Das Schiff wurde, so wie alle Rettungseinheiten der DGzRS, als Selbstaufrichter aus Aluminium konstruiert und 1989 von der  Schweers-Werft an der Unterweser gebaut. In der für Seenotrettungskreuzer typischen Heckwanne führt die „Vormann Steffens“ Tochterboot „Adele“ mit. In Hooksiel sind neun Seenotretter fest angestellt und rund 15 Freiwillige im Einsatz. Sie stehen unter der Leitung von Vormann Dirk Hennesen.
Pünktlich zu ihrem 150jährigen Bestehen nimmt die DGzRS einen völlig neu konstruierten Seenotrettungskreuzer in Betrieb. Das Schiff der 28-Meter-Klasse verfügt über zwei Maschinen mit insgesamt fast 4.000 PS, die eine Geschwindigkeit von 24 Knoten oder 45 Stundenkilometern möglich machen. Der neue Kreuzer wird am 30. Mai in Bremerhaven offiziell getauft. Er sichert künftig von der nordfriesischen Insel Amrum aus die vielbefahrene Deutsche Bucht ab. Dort kommt auch die „Hermann Marwede“ zum Einsatz. Der mit 46 Metern Länge größte Seenotkreuzer der DGzRS -  sieben Mann gehören zur Einsatzbesatzung - ist auf der Hochseeinsel Helgoland stationiert. Die „Hermann Marwede“ bringt es mit einer Gesamtmotorleistung von 9.250 PS auf eine Geschwindigkeit von rund 46 Stundenkilometern. An Bord gibt es ein kleines Hospital zur medizinischen Behandlung Kranker und Verletzter sowie ein Hubschrauberlandedeck. (Der KFV berichtete bereits unter der Rubrik "Fahrzeug des Monats".) Das neue Tochterboot des SAR-Kreuzers (SAR = Search and Rescue / Suche und Rettung) ist mit einem geschlossenen Aufbau versehen und läuft mit seinen zwei Jetantrieben eine Höchstgeschwindigkeit von fast 60 km/h.
Trotz aller Technik dürfen die Retter der DGzRS die tosende See niemals unterschätzen, um nicht selbst in Seenot zu geraten. Der tragische Unfall der „Alfried Krupp“, der sich in der Neujahrsnacht 1995 ereignete und bei dem zwei DGzRS-Männer ihr Leben verloren, hat dies schmerzlich vor Augen geführt.
Die Bundesrepublik Deutschland würdigt die unabhängige, eigenverantwortliche und spendenfinanzierte Arbeit der Seenotretter in diesen Tagen gleich zweifach. Das Bundesministerium der Finanzen hat zum 150-jährigen Bestehen der Organisation, die den Status eines rechtsfähigen Vereins kraft staatlicher Verleihung führt, sowohl ein Sonderpostwertzeichen als auch eine Gedenkmünze herausgegeben.

-Vo-

Mehr Informationen zum Jubiläumsprogramm? www.150-jahre-seenotretter.de

vormansteffen
Die „ Vormann Steffens“ auf Kontrollfahrt „im Revier“.  (Foto: DGzRS)

DGzRS Vormann Steffens Kaspar Janßen
Seit dem Jahr 1994 ist das Schiff im Außenhafen von Hooksiel stationiert. (Foto: Kaspar Janßen)

DGzRS Hermann Marwede Wolfgang Meinhart
Die „Hermann Marwede“ ist mit einer Länge von 46 Metern der größte Seenotrettungskreuzer der DGzRS.
(Foto: Wolfgang Meinhart)

DGzRS Borkum
Historische Aufnahme der Rettungsstation auf Borkum. Bereits 1910 bestand an der gesamten deutschen
Küste von Borkum bis Nimmersatt in Ostpreußen ein Netz mit 129 Stützpunkten,
die einheitlich ausgerüstet waren. (Foto: DGzRS)

DGzRS Briefmarke
Das Bundesfinanzministerium hat zum Gründungsjubiläum der DGzRS eine Sonderbriefmarke
und Gedenkmünze herausgegeben. (Foto: BMF)