Feuerwehrleute lernen ABC der Gefahren

Lehrgang an der Feuerwache Herford

DSC_0316Ob in der Industrie, der Medizin oder im Bereich Forschung und Entwicklung:  Gefahrstoffe kommen im „Hightechland“ Deutschland vielfältig zur Anwendung. Unfälle mit solchen Produkten sind da quasi vorprogrammiert. Und dann sind es - wie so oft - die Helfer der Feuerwehr, die als Erste am Unglücksort eintreffen. Sie sind in aller Regel keine ausgebildeten Chemiker und müssen trotzdem über das nötige Fachwissen verfügen, um auch in einem solchen Fall wirksame Maßnahmen einleiten zu können. 20 Ehrenamtliche aus dem Kreisgebiet absolvieren gerade ihre ABC-Grundausbildung an der Hauptfeuerwache in Herford.

Kommt es zur Freisetzung atomarer Strahlung, zum Austritt von biologischen Gefahrstoffen oder chemischen Produkten, dann gelten für die Feuerwehrleute die Regeln für einen ABC-Einsatz. „Und die unterscheiden sich von den Grundsätzen,  wie sie beispielsweise bei einem Wohnungsbrand gelten“, erläutert Peter Turon den Lehrgangsteilnehmern. Zunächst einmal müssten nämlich die Gefahren, die von solchen ABC-Stoffen ausgingen, erkannt und Absperrmaßnahmen durchgeführt werden. Erst danach könnten Verletzte aus dem Gefahrbereich in Sicherheit gebracht werden. Wichtig sei ferner, Spezialkräfte zu alarmieren. Eine dieser Sondereinheiten ist der ABC-Zug Herford, der von Turon geleitet wird und momentan 27 Aktive zählt.

Allein in Deutschland werden jährlich über 400 Millionen Tonnen Gefahrgüter befördert, davon rund 65 Prozent auf der Straße. Kommt es zu einem Gefahrgutunfall im Straßenverkehr, dann liefern die orangefarbenen Warntafeln an Tankfahrzeugen,  Gefahrzettel auf Versandstücken und Unfallmerkblätter wichtige Hinweise über die Eigenschaften des Ladegutes.  Schätzungsweise 3000 verschiedene Stoffe werden in größerer Menge befördert.  Mehr als 80 Prozent dieser Transportmengen entfallen allerdings auf Mineralölprodukte, wie Benzin, Heizöl und Diesel. Besonders oft sei daher die Gefahrnummer 33 und die Stoffnummer 1203 für Benzin an Tankwagen zu finden, erfahren die „ABC-Schüler“ von Peter Turon. Das „berüchtigte“ schwarze Flügelrad auf gelbem Grund, also das Gefahrensymbol für radioaktive Stoffe, sei im Übrigen keinesfalls nur in Atomkraftwerken zu finden, warnt der Feuerwehrbeamte.  So würden in der Industrie Füllstände und Schichtdicken mit radioaktiven Strahlern gemessen. „In diesen Bereichen darf die Feuerwehr nur mit Sonderausrüstung und unter Strahlenschutzüberwachung tätig werden!“ Im Schulungsraum demonstriert Turon ein Dosisleistungsmessgerät, das mit einer mehr als drei Meter langen Teleskopsonde verbunden ist. Mit dem Geigermüllerzählrohr des Gerätes könne die gefährliche radioaktive Gammastrahlung festgestellt werden. Solche Messungen, so Turon, seien allerdings sehr selten nötig. Dafür komme das Multigasmessgerät bei der Feuerwehr Herford fast täglich zum Einsatz. Das prüfe nämlich Dampfluftgemische auf ihre Explosionsfähigkeit und könne gleichzeitig Ammoniak, Chlor und Industriegase feststellen, überwachen und nachweisen. Außerdem schlage das Gerät bei Sauerstoffmangel Alarm.

Am Nachmittag wird das praktische Ausbildungsprogramm auf dem Hof der Feuerwache fortgesetzt. Hier steht der Gerätewagen-Gefahrgut, der mit speziellen Umfüllpumpen, Auffangbehältern und Dichtmaterial, vor allem aber auch mit der nötigen Schutzausrüstung für die Einsatzkräfte beladen ist. So sind im Fahrzeugheck 12 „Chemikalienschutzanzüge Form 3“ verstaut, sagt Sven Büttner, vom ABC-Zug Herford. Diese Anzüge verhindern eine Kontamination der Haut mit festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen.  Zunächst bekommt
der Lehrgang allerdings die Aufgabe, eine „brennbare Flüssigkeit“ mit der Handmembranpumpe umzufüllen. Dazu werden spezielle Edelstahlwellschläuche verwendet, die eine extrem gute elektrische Leitfähigkeit besitzen.  Für die Pumpe sei zwar viel Muskelkraft erforderlich, doch das simple Gerät hätte sich in der Praxis bewährt, sagt Sven Büttner. Für die Inbetriebnahme der elektrischen  Gefahrgutumfüllpumpe ist da schon mehr Aufwand erforderlich; denn sie ist nicht selbst ansaugend und muss erst umständlich mit dem zu fördernden Medium gefüllt werden. Außerdem gibt es auf dem Gerätewagen-Gefahrgut eine Kleinstmengenpumpe. Sie leistet rund 10 Liter pro Minute und wird mit einer Pressluftflasche angetrieben. Damit könne beispielsweise Kraftstoff aus einem Tank gepumpt werden, demonstriert Ausbilder Maik Balke.

Anschließend steht der Aufbau eines Notdekontaminationsplatzes auf dem Schulungsplan. Hier erfolgt im Falle eines ABC-Einsatzes die Grobreinigung der Einsatzkräfte und von anderen betroffenen Personen.  „Betritt ein Einsatztrupp mit Chemikalienschutzanzügen den Gefahrbereich, dann muss auch der Notdekontaminationsplatz stehen“, erläutert Peter Turon. Die Lehrgangsteilnehmer machen sich an die Arbeit. Schrittweise entsteht aus verschiedenfarbigen Folien der so genannte Schwarzbereich - mit einer improvisierten Duschwanne aus Ölschlängeln und einem rutschfesten Fließ als Untergrund - sowie der Weißbereich, der zum Anlegen der Ersatzkleidung vorgesehen ist.  Die Waschaktion im Schwarzbereich wird übrigens im Ernstfall mit Bürsten und einer handelsüblichen Gartenspritze durchgeführt. „Die feine Brause und der geringe Wasserdruck sind dafür ideal“, sagt Turon.

Das Material für den Notdekontaminationsplatz ist ebenfalls in zwei PVC-Wannen auf dem Gerätewagen-Gefahrgut verlastet. Erst bei größeren Dekontaminationsmaßnahmen kommt ein weiteres Spezialfahrzeug zum Einsatz, der so genannte Dekon-P. Er ist mit speziellen Dusch- und Aufenthaltszelten ausgerüstet. Zum Abschluss des Lehrgangstages rüsten sich Daniel Westerhold (Enger) und Christian Meyer (Hiddenhauen) mit Vollschutzanzügen, Filtermasken und Gummihandschuhen aus. Erst jetzt dürften die Beiden im Dekontaminationsbereich als „Reinigungskräfte“ zum Einsatz kommen und zu Bürste und Gartenspritze greifen.

 

Das Land Nordrhein-Westfalen ist bemüht, die technische Ausrüstung der ABC-Einheiten weiter zu verbessern.  So wird an der Feuerwache Herford voraussichtlich noch in diesem Jahr ein „ABC-Erkunder“ stationiert. Das Fahrzeug der Sprinterklasse verfügt über fest eingebaute Geräte zum Messen, Spüren und Melden radioaktiver und chemischer Verunreinigungen. Außerdem sieht das Katastrophenschutzkonzept des Landes die Beschaffung von Abrollbehältern „Dekon-V“ vor, mit deren Beladung die Dekontamination von verletzten Personen durchgeführt werden kann. Das Land misst den ABC-Einsätzen offensichtlich eine große Bedeutung bei.  Eine gute Ausbildung der Feuerwehrkräfte scheint vor diesem Hintergrund wichtiger denn je.

Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)

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(Mess-)Gerätekunde mit Peter Turon (Bildmitte)

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Peter Turon demonstriert ein Dosisleistungsmessgerät mit Geigermüllerzählrohr und Teleskopsonde

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Schwach radioaktiv strahlende Stoffe können als Stückgut transportiert werden

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Multifunktionsmessgerät von MSA

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Der Gerätewagen-Gefahrgut der Feuerwehr Herford

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(v.l.) Alexander Langner (Kirchlengern) u. Alexander Strototte (Hiddenhausen) brauchen
an der Handmembranpumpe viel Kraft (Bildmitte: Ausbilder Sven Büttner)

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Testen die Kleinstmengenpumpe: (v.l.) Heiko Guhl (Kirchlengern),
Alexander Strototte u. Ines Hellberg (Hiddenhausen)

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Manuel Besler (Vlotho) beim Aufbau der Gefahrgutumfüllpumpe

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(v.l.) Daniel Westerhold (Enger) und Michael Huß (Herford) nehmen die GP 20/10 – Ex in Betrieb.
Sie ist mit einem luftgefüllten Ausgleichsbehälter ausgerüstet um Vibrationen zu vermeiden.

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„Duschwanne“ im „Schwarzbereich“ des Notdekontaminationsplatzes

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Der „Reinigungstrupp“ hat sich mit Schutzanzügen „Form 2“ ausgerüstet.

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Gruppenfoto mit den Ausbildern (v.l.) Sven Büttner, Maik Balke u. Peter Turon