Chemische Reaktion löst Stichflamme aus und setzt giftige Gase frei

Großeinsatz bei Peter-Lacke in Schweicheln-Bermbeck

P1000994Auf dem Gelände der Firma Peter-Lacke in Hiddenhausen Schweicheln-Bermbeck hat sich am Gründonnerstag (5.04.2012) ein schwerer Zwischenfall ereignet. Dabei kam es im Produktionsbereich offenbar zu einer chemischen Reaktion verschiedener Inhaltsstoffe. Eine Stichflamme und ein anschließender Brand waren die Folgen. Alle Arbeiter konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Es wurden allerdings nitrose Gase und möglicherweise auch Anteile von Chlor freigesetzt. Firmenchef Andreas Peter zeigte sich erleichtert, dass niemand verletzt wurde.

Am späten Vormittag ist Peter-Mitarbeiter Rolando M. damit beschäftigt, in Halle 10 Lackfarbe anzurühren. Er hat die Grundstoffe zusammen mit organischen Lösungsmitteln in einen großen Edelstahlbehälter gefüllt. Als Bindemittel kommen rund 25 Kilogramm Nitrocellulose hinzu. Dieser auch Collodiumwolle genannte Stoff ist gerade in getrocknetem Zustand hoch entzündlich. Als der Arbeiter das Rührwerk in den Bottich absenkt reagieren die Inhaltsstoffe plötzlich miteinander. Gelblich-braune Dämpfe steigen auf. Rolando M. und seine Kollegen reagieren geistesgegenwärtig: Die fünf Männer bringen sich sofort in Sicherheit. Denn durch die chemische Reaktion ist ein gefährliches Gemisch entstanden, das unmittelbar danach mit einer gewaltigen Stichflamme explodiert. „Die Flammen sind aus den Dachklappen der  Rauchwärmeabzugsanlage geschossen“, wird später berichtet. Nach weiteren 30 Sekunden löst die automatische Löschanlage aus. Der betroffene Hallenbereich wird mit 2.000 Kilogramm Kohlendioxid geflutet. Das Mittel fließt durch große Rohre, an denen sich sofort Eis bildet. Haustechniker Peter Gieselmann eilt in die Löschzentrale. Er betätigt die Handauslösung für die Löschanlage. Noch einmal strömen 1,5 Tonnen CO2 in  Halle 10.

Mittlerweile treffen die ersten Einheiten der Löschzüge Schweicheln-Bermbeck und Eilshausen an der Herforder Straße 80 ein. Die Kreisleitstelle hat dritten Alarm für die Feuerwehr Hiddenhausen ausgelöst. Mehrere Trupps machen sich für einen Innenangriff bereit. Die rund 1.200 Quadratmeter große Halle ist durch eine Wand in zwei Brandabschnitte aufgeteilt. Schließlich rücken die Wehrleute mit einem Schwerschaumrohr von der rückwärtigen Gebäudeseite durch den unversehrten Hallenteil zur Brandstelle vor. Die Lage scheint bereits nach wenigen Minuten unter Kontrolle zu sein. Denn das Kohlendioxid hat die Flammen zum größten Teil erstickt. Doch Einsatzleiter Nicholas Jost bleibt skeptisch. Ist die Explosionsgefahr wirklich gebannt? In unmittelbarer Nähe der Unglücksstelle ist weiterhin eine gelblich-braune Gaswolke zu sehen. Ein süßlich-beißend-stechender Geruch liegt in der Luft. Die Einsatzkräfte ziehen sich  sicherheitshalber zurück. Der Gerätewagen-Messtechnik von der hauptamtlichen Wache Herford wird angefordert. Die Feuerwehrbeamten analysieren die Ergebnisse der digitalen Messgeräte und Prüfröhrchen. Neben nitrosen Gasen werden überraschender Weise auch Anteile von Chlor gemessen; ein Stoff der die Haut, die Augen und die Atemwege schädigen kann. Weitere Messungen müssen durchgeführt werden, um für Klarheit zu sorgen. Um 13.30 Uhr löst die Kreisleitstelle ABC-Alarm aus. Der Gefahrstoffzug aus Herford unter Leitung von Michael Stiegelmeier wird angefordert. Außerdem kommt der Einsatzleitwagen 2 der Kreisfeuerwehrzentrale, der in Löhne-Ort stationiert ist, nach Hiddenhausen. Die Bundesstraße 239 wird voll gesperrt. Hier befindet sich jetzt der Bereitstellungs- und Rückzugsbereich für die Feuerwehr. Für den Notfall stehen leitender Notarzt Dr. Thomas Jakob und der Rettungsdienst aus Bünde bereit.

Wenig später erkunden die Wehrleute in Vollschutzanzügen die Brandstelle. Peter Turon, Gefahrstoffexperte der Feuerwehr Herford, gibt Entwarnung. Der Edelstahlbehälter mit dem undefinierbaren Lackgemisch ist zur Ruhe gekommen und scheint sich weiter abzukühlen. Die neusten Schadstoffmessungen ergeben „lediglich“ noch eine erhöhte CO2-Konzentration. Umfangreiche Lüftungsmaßnahmen werden eingeleitet. Auf dem provisorischen Dekontaminationsplatz legen die Feuerwehrleute ihre Einsatzkleidung ab. „Alles ist noch einmal glimpflich verlaufen“, sagt Einsatzleiter Nicholas Jost. Gegen 17.30 Uhr ist der Einsatz für die Feuerwehr beendet.

Zur Unglücksursache und zur Schadenshöhe können noch keine Angaben gemacht werden. Die Polizei hat dazu die Ermittlungen aufgenommen. Insgesamt waren 80 Feuerwehrleute im Einsatz.

Das Unternehmen Peter-Lacke produziert Speziallacke für die Trägermaterialien Kunststoff, Glas, Holz und Metall. Am Standort Hiddenhausen sind rund 100 Menschen beschäftigt. Der Familienbetrieb existiert bereits seit mehr als 100 Jahren.

 

Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)

 


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Rund 80 Feuerwehrleute sind im Einsatz.


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Ein „Dreiertrupp“ macht sich für den Innenangriff bereit.


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Vornahme eines Mittelschaumrohrs an der Hallenrückseite.


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Aus Halle 10 wabern giftige nitrose Gase.


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Lagebesprechung mit KBM Wolfgang Hackländer (im Vordergrund)


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Volker Pauck (l) vom GW-Mess Herford gibt dem Messtrupp letzte Anweisungen.


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Die B 239 wird zum Rückzugs- u. Bereitstellungsraum.


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Der GSG-Zug aus Herford trifft mit Dekon-P und GW-Gefahrgut ein.


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Ein Trupp wird mit Vollschutzanzügen Form 2 ausgerüstet.


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Die Spezialkräfte der Feuerwehr Herford kehren mit aktuellen Messergebnissen zurück.


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Provisorischer Dekontaminationsplatz der GSG-Einheit