Wir sagen: Danke!

Einladung aus Ranies: Hochwasserkatastrophe an der Elbe hat Helfer zusammengeschweißt

P1030501Schönebeck-Ranies (Sachsen-Anhalt). Nach tagelangen Regenfällen standen im Juni dieses Jahres ganze Landstriche, vor allem in Ostdeutschland und in Bayern, unter Wasser. Mit der Flutwelle rollte eine Welle der Hilfsbereitschaft in die betroffenen Gebiete: Tausende Freiwillige, darunter die 2. Feuerwehrbereitschaft Herford/Minden-Lübbecke der Bezirksreserve Detmold, die im Raum Schönebeck an der Elbe zum Einsatz kam, kämpften in den folgenden Tagen gegen die Wassermassen. Wir sagen: Danke! Mit diesen Worten wurden die Helfer von damals nun von der Ortsfeuerwehr Ranies und vom örtlichen Kultur- und Sportverein eingeladen.

Eine Abordnung aus dem Kreis Herford unter Leitung des Gohfelder Löschgruppenführers Reinhard Sieker hatte sich Anfang September auf den Weg in den Salzlandkreis gemacht. Dort war die Katastrophe relativ glimpflich verlaufen. In einem unbeschreiblichen Kraftakt der Hilfsorganisationen und der Bundeswehr konnten die Deiche der Elbe und des Umflutkanals seinerzeit gehalten werden. Die Ortschaften Grünewalde, Elbenau und Ranies blieben dadurch nahezu unversehrt. „Lasst uns stolz sein, dass wir gemeinsam diese Ausnahmesituation gemeistert haben“, war während der Kaffeetafel auf dem Sportplatz in Ranies zu hören. Es sei immer noch deutlich zu spüren, wie froh und dankbar die Menschen seien, dass sie die Katastrophe einigermaßen unbeschadet überstanden hätten, sagte Reinhard Sieker. Während einer Bildershow ließen die einheimischen und auswärtigen Helfer, die das Unglück zusammengeschweißt hatte, die Ereignisse von damals noch einmal in Erinnerung rufen. Höhepunkt des Treffens war schließlich ein Fackelzug über die Deiche, die sich noch vor wenigen Monaten in kritischem Zustand befanden und den Menschen beinahe zum Verhängnis geworden wären.
Rückblick: Durch das Pretziener-Wehr, das sich ganz in der Nähe befindet, strömten Anfang Juni 2013 unvorstellbare Wassermassen in den Elbe-Umflutkanal. Während jener Schicksalstage waren Gunnar Ulrich und sein Schwager Martin Hopfer für den Deichabschnitt von Calenberge bis zur Haberlandbrücke, von dort bis zur Alten Fähre und dann weiter bis nach Grünewalde zuständig. Die beiden Feuerwehrmänner kennen die örtlichen Gegebenheiten sehr genau; denn sie kommen aus dem kleinen Örtchen Ranies, das unmittelbar hinter dem Wehr liegt und deshalb vom Hochwasser besonders bedroht war. Auf dem etwa 2,2 Kilometer langen Abschnitt zwischen Haberlandbrücke und Alte Fähre wurden zunächst 500 Mann der Bundeswehr eingesetzt, um die Deiche zu verstärken. Es sei eine „Wahnsinnsleistung“ gewesen, die die Truppe hier vollbracht habe, meinte Ulrich. Kurze Zeit später kamen in diesem Bereich die beiden Züge aus dem Kreis Herford zum Dauereinsatz - über mehr als 24 Stunden hinweg.  Der Einsatzleitwagen 2 aus Bünde war nun die Nachrichtenzentrale für das Führungsduo Ulrich/Hopfer.  Als auf der Deichkrone auf vier Meter Länge ein zehn Zentimeter breiter und 60 Zentimeter tiefer Riss sichtbar wurde, spitzte sich die Lage zu. "Diese Situation ließ uns keine andere Wahl, als Ranies zu evakuieren", sagte Ulrich. Bei einem Deichbruch wäre die einzige Straße aus dem Ort heraus innerhalb kurzer Zeit weg gewesen. Wie durch ein Wunder hielt der Deich doch. Feuerwehrleute stabilisierten die besonders kritischen Stellen.   Hubschrauber der Bundeswehr kamen zur Verstärkung und warfen Big-Packs ab.
Am 20. Juni wurden die neun Jochöffnungen des Pretziener-Wehrs, übrigens ein historisches Bauwerk, das bereits im 19. Jahrhundert errichtet wurde, schließlich wieder geschlossen. An jenem Tag hatten die Elbenauer und Grünewalder Kinder, deren Schulweg bei Hochwasser über das Wehr führt, schulfrei.  In der Folgezeit bereitete der hohe Grundwasserstand noch Probleme. Riesige Pumpen kamen zum Einsatz, um das Gebiet hinter den Deichen zu entwässern. An einer Stelle wurde ein Damm auf zehn Meter Länge geöffnet, sodass das Wasser schneller aus dem Umflutgebiet in den Ehlekanal abfließen konnte. Der Neubau der Haberlandbrücke, die alte Überführung des Umflutkanals war bereits vor dem großen Hochwasser abgerissen worden, ist allerdings in weite Ferne gerückt. Zurzeit wird ein provisorischer Schotterdamm angelegt.
Heute erinnert wenig an den Ausnahmezustand von damals. Durch das Umflutgebiet rauscht längst wieder der Verkehr. Wer genau hinschaut, der kann noch vereinzelt Treibgut erkennen, das sich in den Bäumen verfangen hatte. Die Bundesstraße 246a führt jetzt aus Richtung Plötzky/Alte Fähre über die neue Elbauen-(Schrägseil-)Brücke. Das mehr als 1.100 Meter lange Bauwerk, das die Elbe südlich von Schönebeck überspannt, wurde erst im August 2013 eingeweiht. In der Stadt hatte der Pegel der Elbe bei unglaublichen 7,61 Meter gelegen (zum Vergleich 2002: 7,07 Meter). Ein Messpfahl, der an der Uferpromenade aufgestellt wurde, erinnert an den historischen Wert.
Nach Erkenntnissen von Experten war die jüngste Flut tatsächlich ein Jahrhunderthochwasser. Es wurden die höchsten jemals gemessenen Wasserstände registriert. Gleichzeitig ist von der teuersten Naturkatastrophe die Rede, die sich hierzulande ereignet hat. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland und den Nachbarländern ein volkswirtschaftlicher Schaden von mehr als zwölf Milliarden Euro entstanden ist.   

-Vo-
Fotos: J. Vogelsang

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60 Feuerwehrleute aus dem Kreis Herford reisen zum Helferfest in den Salzlandkreis.
Sie werden auf dem Sportplatz in Schönebeck-Ranies herzlich empfangen. Foto: M. Kolpak (Fw Löhne)

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(v.l.) Reinhard Sieker (Löhne-Gohfeld) überreicht Martin Hopfer u. Gunnar Ulrich von der
Feuerwehr Ranies den Ehrenkrug des KFV Herford. Foto: M. Kolpak (Fw Löhne)

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Schönebeck im Spätsommer 2013: Ein Ausflugsdampfer liegt an der Ufermauer. Im Hintergrund ist die
alte Elbebrücke zu sehen, die im November 1912 fertig gestellt wurde.

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Die neue Schrägseilbrücke (Kosten rd. 31,5 Millionen Euro) wurde im August 2013 eingeweiht.

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Uferpromenade mit dem Denkmal einer stilisierten Eisblume

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Das Schönebecker Rathhaus: Die Stadt hat heute rd. 32.000 Einwohner.

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Salinen am Kurpark in Schönebeck-Bad Salzelmen, dem ältesten Soleheilbad Deutschlands.

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Blick von der Elbebrücke Richtung Magdeburg während der Hochwasserkatastrophe

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Der Fluss hat sich im September 2013 längst in sein Bett zurückgezogen.

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Die Altstadt am 9. Juni und …

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… im September 2013.

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Wo damals mobile Schutzwände das Wasser zurückhielten, …

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… parken heute Autos.  

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Situation im „Einsatzabschnitt Alte Fähre“ am 9. Juni 2013

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Mittlerweile läuft der Verkehr auf der B 246a wieder störungsfrei durch das Umflutgebiet.

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Situation im „Einsatzabschnitt Haberlandbrücke“ am 10. Juni 2013

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An gleicher Stelle erinnert heute wenig an das Hochwasser von damals.

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Der Neubau der Haberlandbrücke, die bereits vor der Flut abgerissen worden war, verzögert sich.

 

Stichwort: Pretziener Wehr

Das Pretziener Wehr und der Elbe-Umflutkanal wurden zwischen 1871 und 1875 auf Beschluss der Preußischen Regierung von italienischen Bauarbeitern und französischen Kriegsgefangenen erbaut, nachdem in der Region zuvor katastrophale Hochwasserschäden entstanden waren. Das Bauwerk mit seinen zehn gemauerten Stützpfeilern steht auf einem 163 Meter langen Fundament, die Durchflussbreite beträgt 113 Meter. Die neun so genannten Jochöffnungen sind mit schweren Eisentoren (Schützentafeln) verschlossen. Jede Einzelne wiegt rund 3,6 Tonnen. Das Wehr wird bei einem Pegelstand der Elbe von 5,92 Meter am Messpunkt Barby geöffnet, um den Fluss zu entlasten. Heute werden die Eisentore mit Hilfe von Elektromotoren über Seilwinden hochgezogen. In früherer Zeit geschah das von Hand.  

-Vo-
Fotos: J. Vogelsang

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Situation am 11. Juni 2013: Durch das geöffnete Wehr
strömen unvorstellbare Wassermassen in den Elbe-Umflutkanal.

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Besteht keine Hochwassergefahr, sind die Jochöffnungen durch schwere Eisentore verschlossen.