Feuerwehrleute aus Bielefeld und dem Kreis Herford im Dekontaminationseinsatz
Bielefeld. Feuerwehrleute aus Bielefeld und dem Kreis Herford haben am Samstag (25.06.2016) gemeinsam mit Sanitätern der Johanniter die Rettung und Versorgung von Unfallopfern geprobt. Ausgangspunkt der Großübung bildete eine angenommene Explosion in einem Lager für Farben und Lacke in Bielefeld-Milse. Zwanzig Menschen, so das weitere Szenario, zogen sich dabei zum Teil schwere Verletzungen zu. Sie kamen zudem mit einer „gefährlichen Chemikalie“ in Kontakt, sodass sie vor ihrem Abtransport von Spezialkräften dekontaminiert werden mussten.
Am Samstagmorgen gleicht der Parkplatz an der Stadtbahnhaltestelle im Stadtteil Milse einem Heerlager. Die Löschabteilungen Milse, Lämershagen, Mitte, Ost, Eckardtsheim, Niederdornberg und Brake sowie die Johanniter aus Ummeln sind in Bereitstellung gegangen. Die Kräfte gehören zum ABC-Zug der Stadt Bielefeld (ABC steht für atomare, biologische und chemische Gefahren). Eine ähnliche Komponente kommt aus dem Kreis Herford zur Verstärkung. Sie wird von Feuerwehrleuten aus Herford, Hiddenhausen und Löhne gebildet. Jörn Bielinski, Pressesprecher der Feuerwehr Bielefeld, schätzt, dass an diesem Morgen etwa 180 Einsatzkräfte auf den Beinen sind. Er erläutert die fiktive Situation: Im benachbarten Gewerbepark A.W. Kisker, etwa 35 Firmen sind dort angesiedelt, habe sich in einem Lacklager eine Explosion ereignet. Vielmehr will die Übungsleitung zu diesem Zeitpunkt nicht bekanntgeben.
Schockierende Szenen
Als die ersten ehrenamtlichen Kräfte der Löschabteilung Milse und Berufsfeuerwehrleute der Feuerwache Nord auf dem Gelände eintreffen, spielen sich dramatische Szenen ab. Den Helfern laufen zunächst drei „Mitarbeiter“ panisch entgegen. Alle drei haben klaffende Wunden an Armen und Händen. Sie stehen unter Schock und stammeln nur unvollständige Sätze. Als der erste Angriffstrupp unter Atemschutz die Unglücksstelle näher untersucht, wird das Ausmaß der fiktiven Katastrophe sichtbar: Fünf Schwerverletzte liegen regungslos vor der Versandhalle des Farben- und Lackhandels. Einen jungen Mann hat es besonders schwer getroffen. Durch die Explosion hat sich eine Stange in seinen Oberkörper gebohrt. Die Statisten, die zuvor vom Team für realistische Unfalldarstellung der DLRG aus Paderborn geschminkt wurden, sorgen dafür, dass die Situation authentisch wirkt. Aus einem beschädigten Tank plätschert eine gefährliche Chemikalie. Ätzende Dämpfe treten aus, denen die Unglücksopfer unmittelbar ausgesetzt sind. Den Einsatzkräften bleibt nur wenig Zeit: Sie führen eine so genannte Crash-Rettung durch und bringen die Menschen so schnell wie möglich in Sicherheit. Pressesprecher Jörn Bielinksi sagt, dass die Feuerwehrleute in ihrer normalen Schutzkleidung nur für einen kurzen Moment im unmittelbaren Gefahrenbereich tätig werden dürften, um sich nicht selber zu gefährden. Ein Trupp in Chemikalien-Schutzanzügen dichtet die Leckage wenig später ab. Bielinski spricht in Anbetracht der Situation über die Belastungen, denen die Retter im echten Einsatzalltag ausgesetzt sind. „Wir müssen unsere Kräfte einteilen, zielgerichtet arbeiten und dürfen keine Hektik aufkommen lassen“, meint er.
Ohne Verletzten-Dekontamination kein Abtransport ins Krankenhaus
Mittlerweile arbeiten die Retter in mehreren Einsatzabschnitten. Die Einsatzleitung hat Ulrich Dreiwes, Wachvorsteher der Berufsfeuerwehr, übernommen. Für ihn ist klar, die Dekontamination der Verletzten, ihre Zahl ist mittlerweile auf 20 gestiegen, hat jetzt oberste Priorität. Mit anderen Worten, die betroffenen Personen müssen zunächst gereinigt werden, bevor ihre medizinische Versorgung beginnen kann. Anderenfalls würde sich die giftige Chemikalie, mit denen die Menschen in Berührung gekommen sind, vermutlich in der Krankenhaus-Notaufnahme wiederfinden. Die Einsatzkräfte haben deshalb außerhalb des Gefahrenbereichs die Verletzten-Dekontamination vorbereitet. Herzstück der Anlage bildet der Abrollbehälter Dekon-V (AB Dekon-V), der vom Land NRW im Rahmen des Katastrophenschutzes beschafft wurde und der von einem Wechsellader-Fahrzeug zur Einsatzstelle transportiert wird. Zunächst geht es für die Unglücksopfer in den „Schwarzbereich“, einem luftgestützten Zelt, das seitlich an den geöffneten Container anschließt. Die Einsatzkräfte der ABC-Züge aus Bielefeld und dem Kreis Herford arbeiten in Gebläsefilteranzügen, durch die sie vollständig geschützt sind. Sie entkleiden zunächst die Verletzten, desinfizieren ihre Wunden und kleben diese notdürftig ab. Danach folgt die Lagerung auf Rettungsbrettern, von den Fachleuten Spineboards genannt, mit denen die Patienten auf einer Rollenbahn in den Container geschoben werden. Hier befinden sich die eigentlichen Desinfektionsduschen. Nach der „Kopf bis Fußreinigung“ mit einem antiseptischen Waschpräparat landen die Verletzten im „Weißbereich“, einem luftgestützten Sanitätszelt, das von der Schnelleinsatzgruppe der Johanniter herbeigeschafft wurde und auf der gegenüberliegenden Containerseite angebaut ist.
AB Dekon-V: Vom Durchlauferhitzer bis zur Be- und Entlüftung ist an alles gedacht.
In Badekleidung lassen die 20 Statisten die ungewöhnliche Reinigungsaktion geduldig über sich ergehen. Dr. Michael Korth, leitender Notarzt in Bielefeld, kümmert sich anschließend gemeinsam mit dem Rettungsdienstpersonal um die weitere Versorgung der Unglücksopfer. Das Material für die Erstversorgung kommt ebenfalls vom Gerätewagen-Sanität (GW-San) der Johanniter, auf dem sich Sanitätsrucksäcke und Aufklapptragen befinden. Die Verletzten-Dekontamination läuft quasi autark ab. So verfügt der AB Dekon-V über einen Durchlauferhitzer für den Betrieb der Dekonduschen, Gebläse zum Heizen und Lüften der Zelte und einen leistungsstarken Stromerzeuger. Das Duschwasser liefert ein Tanklöschfahrzeug. Die Gebläsefilteranzüge für den Eigenschutz arbeiten im Übrigen mit zwei Partikelfiltern und Akkuantrieb. Insgesamt 32 Anzüge, die im Einsatz ständig unter Überdruck stehen, gibt es auf dem AB Dekon-V.
Gefahrstoffexperten der Feuerwehr führen währenddessen in der Umgebung Schadstoffmessungen durch. Dazu kommen spezielle Messfahrzeuge, sogenannte ABC-Erkunder, zum Einsatz. Kräfte der Feuerwehr Herford überwachen die Absperrgrenzen mit Multigasmessgeräten.
Fazit fällt positiv aus
Nach etwa drei Stunden haben die Helfer die gestellten Aufgaben erledigt. Ein erstes Fazit der Feuerwehrführung fällt positiv aus: „Alle Ziele sind erreicht worden, auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch Verbesserungsbedarf besteht!“ Etwa alle zwei bis drei Jahre führt die Feuerwehr Bielefeld eine solch ausgedehnte Übung durch. In diesem Jahr habe der Kreis Herford ebenfalls davon profitieren können, meint Sven Büttner, der die heimische ABC-Einheit leitet. Bei einem gemeinsamen Mittagessen, das die Johanniter vorbereitet haben, bleibt noch Zeit zum Fachsimpeln.
Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)
Die Löschabteilung Milse und der Löschzug der Feuerwache-Nord (Foto) sind als erstes vor Ort.
Drei „Mitarbeiter“ können sich noch selbständig in Sicherheit bringen.
Sie sind schwer verletzt und werden von den Einsatzkräften …
… aus Milse betreut.
Schreckensbilder am Explosionsort
Die Einsatzkräfte müssen schnell handeln: Aus einem beschädigten Tank läuft eine gefährliche Chemikalie.
Sie bringen die Unglücksopfer …
… umgehend aus dem Gefahrenbereich.
Die Verletzten sind massiv kontaminiert.
Daher ist zunächst nur ihre medizinische Notversorgung möglich.
Die Statisten kommen von DLRG aus Paderborn. Sie warten in einem Linienbus,
den moBiel zur Verfügung gestellt hat, auf ihren Einsatz.
Übungsleiter Frank Klumpe (l) und Pressesprecher Jörn Bielinski
stehen in ständigem Kontakt.
Sind für den unmittelbaren Gefahrenbereich zuständig:
(v.l.) Sebastian Bend und Christian Stüwe.
Ein Trupp in Chemikalienschutzanzügen macht sich bereit,
um die Leckage am Tank abzudichten.
Für die Reinigung der Schutzkleidung gibt es eine Dekon-Dusche.
Gewerbepark A.W. Kisker mit dem historischen Wasserturm.
Hier hat die Feuerwehr ein Großaufgebot zusammengezogen.
Die Fernmeldegruppe ist mit sieben Mann vor Ort. Sie ist für den Betrieb des
Abrollbehälters Einsatzleitung (AB Einsatzleitung) zuständig.
Die Verletzten-Dekontamination erfordert eine aufwendige Logistik.
Patientenablage im Vorfeld
Umlagerung von der Krankentrage auf ein Rettungsbrett und …
… Entkleidung im „Schwarzbereich“.
„Kopf bis Fußreinigung“ unter der Dekon-Dusche
Arbeitsteilung: Die gehfähigen Patienten werden links, die Liegend-Patienten rechts dekontaminiert.
Spülung und …
… Brille zum Schutz der Augen
Das Material für die medizinische Versorgung kommt vom Gerätewagen-Sanität (GwSan)
Der ABC-Zug Herford wird ebenfalls …
… nach Bielefeld verlegt.
Thimo Brennenstuhl von der Feuerwehr Herford überwacht
mit einem Multigasmessgerät die Absperrgrenze
Sven Büttner (Mitte) und Maik Balke (r) leiten die ABC-Einheit aus der Heimat.
Die Johanniter kümmern sich am Gerätehaus der …
Löschabteilung Milse um die Verpflegung der etwa 180 Einsatzkräfte.