Operationsplan Deutschland regelt die Einzelheiten
Berlin/Kreis Herford. Seit dem 24. Februar 2022 tobt mitten in Europa ein grausamer Krieg. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Friedensordnung grundlegend erschüttert. Vor diesem Hintergrund muss Deutschland seine Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit neu ausrichten. „Die Herausforderungen können nicht rein militärisch, sie müssen gesamtstaatlich und gesamtgesellschaftlich gemeistert werden“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Mit diesem Ziel haben Experten aus allen Bereichen der Bundeswehr, Fachleute der „Blaulichtorganisationen“ und der Wirtschaft einen geheimen, gesamtstaatlichen Verteidigungsplan aufgestellt, der ständig weiterentwickelt wird – den Operationsplan Deutschland. In Anbetracht der Bedrohungslage gewinnt der Zivilschutz, also der Schutz der Bevölkerung im Verteidigungs- oder Spannungsfall, zunehmend an Bedeutung.
Anfang September 2025 probt die Bundeswehr in Ostwestfalen-Lippe den Ernstfall. Rund 500 Soldaten und mehr als 300 Militärfahrzeuge sind in die Vollübung „Fridericus Rex 2025“ des Feldjägerregiments 2 eingebunden. In Hiddenhausen errichten Pioniere aus Bayern eine Brücke über die Werre. Das 40 Meter lange Stahlbauwerk kann bis zu 140 Tonnen tragen. LKW-Konvois, darunter dreiachsige Sanitätsfahrzeuge, passieren wenig später den Fluss, um von Falkendiek nach Schweicheln-Bermbeck zu gelangen. Werde eine Brücke beschädigt oder sei die Tragfähigkeit nicht mehr ausreichend, müsse schnell eine Lösung gefunden werden, sagt Oberst Thorsten Böer, Kommandeur des Feldjägerregiments aus Hilden bei Düsseldorf. Die Militärpolizei kümmere sich darum, dass die marschierende Truppe wieder schnellstmöglich auf den ursprünglichen Marschweg zurückgeführt werde. „Außerdem muss das ressortübergreifende Zusammenspiel mit den zivilen Kräften, wie Polizei, Feuerwehr und THW, geübt werden“, erklärt der Oberst. Polizeibeamte, Vertreter des Amtes für Bevölkerungsschutz und der Ordnungsbehörde sind deshalb als Übungsbeobachter vor Ort.
Die Bundeswehr probt Anfang September 2025 in OWL den Ernstfall.
(Foto: Redaktion: kfv-herford.de)
Das Feldjägerregiment 2 ist in Hiddenhausen im Einsatz. Zivile Kräfte,
darunter Mitarbeiter des Amtes für Bevölkerungsschutz, sind als Übungsbeobachter vor Ort.
(Foto: Redaktion: kfv-herford.de)
Eine Brücke ist „beschädigt“:
Die Militärpolizei kümmert sich darum, dass die Truppe so schnell wie möglich auf den ursprünglichen Marschweg zurückgelangt.
(Foto: Redaktion: kfv-herford.de)
Bundeswehr setzt auf maximale zivile Unterstützung
Mittlerweile warnen die Geheimdienste: Ab dem Jahr 2028 könnte Russland in der Lage sein, NATO-Territorium anzugreifen. Deutschland würde dann zur Drehscheibe für den Nachschub an „Mensch und Material“ an die Ostflanke des Bündnisses. Nach den Planungen der NATO müssten „mehrere hunderttausend Soldaten durchgängig logistisch und medizinisch versorgt werden“. Die Fähigkeit, sehr schnell große Truppenkontingente verlegen zu können, gilt als zentraler Pfeiler der konventionellen Abschreckung.
Die Bundeswehr setzt dabei auf „maximale zivile Unterstützung“. Verfahren, Abläufe und Zuständigkeiten sind im 1000-seitigen Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) festgehalten. „Während die Bundeswehr den Menschen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal oder während der Pandemie unterstützend zur Seite stand, ist sie im Krisen- und Verteidigungsfall selbst auf zivile Hilfe angewiesen“, heißt es vom Operativen Führungskommando (OpFüKdoBw) in Berlin. Generalleutnant André Bodemann nennt in einem Fernsehinterview ein konkretes Beispiel: „Truppen der Amerikaner landen in Vlissingen in den Niederlanden. Auf dem Weg Richtung Baltikum müssen sie mit Betriebsstoffen, Verpflegung, Frischwasser und vielleicht auch sanitätsdienstlich versorgt werden. Ich gehe davon aus, dass sich große Teile der Bundeswehr dann schon an der Ostflanke befinden oder auf dem Weg dahin sind. Der amerikanische Konvoi wird deshalb nicht von einem Tankwagen der Bundeswehr versorgt, sondern von einem Betriebsstoff-LKW eines namhaften Mineralölunternehmens. Die sanitätsmäßige Versorgung wird nicht durch Sanitäter der Bundeswehr, sondern durch Malteser, Johanniter oder das Deutsche Rote Kreuz vorgenommen. Und die Verpflegung kommt nicht von der Truppenküche der Bundeswehr, sondern einem zivilen Caterer.“
Ein Fahrzeugverband testet eine Behelfsbrücke, die in Hiddenhausen über die Werre führt.
(Foto: Redaktion: kfv-herford.de)
Die Bundeswehr setzt im Verteidigungs- oder Spannungsfall auf „maximale zivile Unterstützung“.
(Foto: Redaktion: kfv-herford.de)
„Blaulichtorganisationen“ müssen ihre Rollen noch finden
Die erste Version des OPLAN DEU ist zum 1. Januar 2025 in Kraft getreten. Zuvor wurden 150 Experten um Rat gefragt, darunter Fachleute der Länder, „Blaulichtorganisationen“ und Wirtschaftsvertreter. „Wir haben 100 Tage an geheimer Stelle verbracht, um den Plan zu entwickeln“, sagt Bodemann. Herausgekommen sei ein Paket von rund 1.000 Seiten. „Das zeigt, wie komplex das Thema ist!“ Die Feuerwehren, das THW und die großen Hilfsorganisationen sind nun potenzielle Hilfskräfte der Bundeswehr. Doch wie genau ihre Rolle aussieht, ist für viele Verantwortliche zurzeit noch nebulös - denn der OPLAN DEU ist geheim. Die Feuerwehren müssen vermutlich zusätzliche Aufgaben im Rahmen der Transportsicherung übernehmen, die den Brandschutz und die Technische Hilfe betreffen. Das THW könnte hingegen logistische Unterstützung leisten und beim Aufbau der Infrastruktur, wie der Energie- und Wasserversorgung, gefordert sein. Die großen Hilfsorganisationen müssen sich dagegen auf mögliche MANV-Lagen (Massenanfall von Verletzten bzw. Versorgung von verwundeten Soldaten) einstellen. In Pilotregionen wurden erste Testläufe gestartet, um das Zusammenspiel des Militärs mit den „Blaulichtorganisationen“ und Kommunen zu trainieren.
Menschen müssen stärker in den Zivilschutz eingebunden werden
Im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes gibt es nach Ansicht vieler Experten weiterhin große Defizite. Die Bundesregierung verfolgt in diesem Zusammenhang die Resilienzstrategie. Die Menschen sollen mehr auf ihren Selbstschutz achten - also Eigenvorsorge treffen und ihre Selbsthilfefähigkeiten stärken, um besser auf Krisen und Notfälle vorbereitet zu sein. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern die großen Hilfsorganisationen, die Bürger aktiv in den Bevölkerungsschutz einzubinden. Dazu seien Bildungs- und Informationsprogramme erforderlich. Aus der Politik sind ebenfalls Stimmen zu hören, die Verbesserungen fordern. "Einmal jährlich soll der bundesweite Bevölkerungsschutztag auch als Übungstag genutzt werden, um die Krisenfestigkeit der gesamten Gesellschaft zu erhöhen", heißt es in einem 10-Punkte-Plan mit dem Titel „Sicherheit statt Populismus“. Der Sirenenfehlalarm in Hamburg Anfang Oktober 2025 hat gerade erst wieder gezeigt, wie groß die Defizite sind. Durch einen Bedienungsfehler waren plötzlich sämtliche Sirenen im Stadtgebiet angesprungen. Als das Lagezentrum der Polizei den Fehler bemerkte, wurde umgehend Entwarnung mit dem dafür vorgesehenen langanhaltenden Sirenenton gegeben. Trotzdem wählten mehrere hundert Menschen den Notruf. Statt Ruhe zu bewahren, fragten sie nach, was zu tun sei.
Beim Zivilschutz gibt es weiterhin Defizite. Die großen Hilfsorganisationen fordern, die Bevölkerung aktiv einzubinden.
(Symbolfoto: Redaktion: kfv-herford.de)
Die Krankenhäuser im Bundesgebiet sind laut einer Studie der Deutschen Krankenhausgesellschaft
schlecht auf Verteidigungs- und Krisenfälle vorbereitet.
(Symbolfoto: Redaktion: kfv-herford.de)
Krankenhaus-Übungen sind notwendig, aber teuer!
Die Krankenhäuser sind im Verteidigungs- oder Spannungsfall von zentraler Bedeutung. Hier werden Verwundete und Kranke versorgt. Nach einer Recherche, die der NDR in Norddeutschland durchführte, sind viele Kliniken noch nicht auf ein solches Szenario vorbereitet. Sie wissen nicht, welche Rolle sie im Verteidigungsfall einnehmen sollen und wie lange die Reserven ausreichen würden. Dagegen ist die Notstromversorgung der „essenziellen Systeme“ für 24 Stunden gesichert, weil es entsprechende Vorgaben gibt. Mittlerweile gilt die „72-Stunden-Marke“ als Standard für kritische Infrastrukturen. Viele Krankenhäuser haben ihre Notstromkapazitäten bereits darauf ausgelegt. Eine Studie der Deutschen Krankenhausgesellschaft kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass deutsche Krankenhäuser auf Verteidigungs- und Krisenfälle schlecht vorbereitet sind. Um die Krankenhäuser krisenfest aufzustellen, seien laut Studie Investitionen von mindestens 15 Milliarden Euro erforderlich.
Im Bündnis- oder Verteidigungsfall geht man von bis zu 1.000 Verletzten aus, die täglich neu nach Deutschland kommen. Große Übungen, mit denen der Massenanfall von Verletzten (MANV) simuliert wird, sind wichtig, um das Klinikpersonal darauf vorzubereiten. Doch die sind teuer: Operationen müssen verschoben werden und das Personal Überstunden schieben. Für ein Krankenhaus könnten so schnell 100.000 Euro an Kosten zusammenkommen, sagt ein Oberarzt, der an einem großen Universitätsklinikum die Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin leitet. (Redaktion: kfv-herford.de)
-Vo-
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Fachempfehlung zu den „Gefahren und Herausforderungen für Feuerwehren bei Munitionstransporten“: https://www.feuerwehrverband.de/fachliches/publikationen/fachempfehlungen/