Warnaufkleber für Autos mit Klimaanlagen gefordert – CO2 als Alternativstoff möglich
R1234yf – diese Kombination bezeichnet ein neues Kältemittel, das für die Klimaanlagen neuer PKW-Modelle vorgesehen ist. Zurzeit gibt es allerdings noch Lieferengpässe. Kritiker warnen: Bei dem Stoff handele es sich um einen riskanten Chemiecocktail, der im Brandfall zur Gefahr für die Einsatzkräfte der Feuerwehr werde. Im Extremfall könne sogar Flusssäure entstehen. Wissenschaftler, Umweltschützer und Experten der Feuerwehr haben bereits Alarm geschlagen.
Die Automobilindustrie hält das neue Kältemittel allerdings weiterhin für sicher. Ihre Interessenvertretung VDA (Verband der Automobilindustrie) hat den Deutschen Feuerwehrverband (DFV) bereits vor einigen Monaten umfassend über die Stoffeigenschaften von R1234yf informiert. In Gesprächen mit dem VDA hätten sich Vertreter der Feuerwehren davon überzeugen können, dass bei dem neuen Kältemittel ein gleicher Sicherheitsstandard wie für die bisher verwendeten Mittel gegeben sei, erklärte der DFV am 30. Juni 2011. „Der Einsatz des Kältemittels ist für Insassen und Rettungskräfte sicher!“, heißt es in der Mitteilung. VDA und Industrie verweisen jetzt gerne auf diese Einschätzung des Feuerwehrverbandes. Eigene Versuche hat der DFV allerdings nicht durchgeführt oder in Auftrag gegeben. Die Herstellerfirma H. schreibt in ihrem Datenblatt für die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz, umfassende Tests und eine Überprüfung dieser Testergebnisse durch den TÜV Süd hätten ergeben, dass R1234yf ohne Sicherheitsbedenken in mobilen Klimaanlagen eingesetzt werden könne. Die Möglichkeit, dass Flusssäure als Abbauprodukt entstehe, bezeichnet das Unternehmen als „theoretische Möglichkeit in einem Labor“, da hierzu eine andauernde, extreme Hitze erforderlich sei. Kritiker bemängeln, dass die Ergebnisse der Untersuchungen unter Verschluss gehalten würden.
Feststeht, dass der Stoff ein brennbares Gas-Luft-Gemisch bilden kann und deshalb als hochentzündlich eingestuft wird. Eine Entzündung an Oberflächen soll jedoch erst ab 650 0C möglich sein. Die Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung (BAM) hatte den Stoff bereits in der Vergangenheit untersucht. Ergebnis der Studie „Ignition behaviour of 1234yf“: In fast allen Tests, bei denen das Kältemittel freigesetzt worden sei, hätten sich kritische Mengen für die menschliche Gesundheit ergeben. Während eines praktischen Versuchs demonstrierte die BAM bereits im Jahr 2009 die Auswirkungen einer Kältemittelleckage im Motorraum eines Autos älteren Baujahrs. Austretendes R1234yf soll sich dabei an einem heißen Motorkrümmer entzündet und eine Kältemittelwolke anschließend die Windschutzscheibe verätzt haben.
In Deutschland stehen alljährlich zwischen 30.000 bis 40.000 Fahrzeuge in Flammen. Bei einem Brand im Motorraum können schnell Temperaturen von über 600°C entstehen. Sollte das neu entwickelte Kältemittelmittel in einem solchen Fall wirklich austreten und Fluorwasserstoff freisetzen, würde damit für die Autoinsassen und die Helfer der Feuerwehr die Gefahr von Verätzungen und Vergiftungen bestehen. Denn schon mit der normalen Feuchtigkeit der Umgebungsluft könnte sich extrem gefährliche Flusssäure bilden. Der Berufsverband Feuerwehr e.V. hatte bereits in der Vergangenheit aufgrund „der eindeutigen Gefahren“ bei einem Unfall ein Verbot des neuen Kältemittels R1234yf gefordert. Der Verband vertritt nach eigenen Angaben die rund 28.000 Berufsfeuerwehrleute in Deutschland. Gerate im Brandfall Fluorwasserstoff in die Umgebung, sei Hilfe für die Unfallopfer nur durch Einsatzkräfte in speziellen Schutzanzügen möglich, erklärte Andreas Thöne vom Vorstand des Verbandes. Thöne regte deshalb an, Fahrzeuge, deren Klimaanlage mit dem neuen Kältemittel befüllt seien, mit einem Warnaufkleber an der Windschutzscheibe zu versehen. Das Umweltbundesamt hält die neue Chemikalie ebenfalls für bedenklich. Die Umweltauswirkungen des fluorhaltigen Stoffes sollten daher laut Pressemitteilung vom 6. März 2012 im Rahmen der Europäischen Chemikalienverordnung (REACH) neu bewertet werden.
Die Hintergründe:
Rund 42 Millionen PKW sind alleine in Deutschland zugelassen. Fast alle Neuwagen werden mit einer Klimaanlage ausgeliefert. Dadurch steigt der Kraftstoffverbrauch eines jeden Fahrzeugs um zehn bis 15 Prozent. Außerdem entweicht permanent etwas Kältemittel in die Umwelt und schädigt die Atmosphäre zusätzlich. Das bisher verwendete Kältemittel R134a gilt als regelrechter „Klimakiller“. Es zählt zu den Treibhausgasen, die den Klimawandel beschleunigen und die Ozonschicht zerstören. Das Erderwärmungspotential (GWP-Wert) von R134a liegt bei 1.430. Eine Richtlinie der Europäischen Union schreibt daher den Einsatz von umweltfreundlichen Kältemitteln für Fahrzeuge vor, die ihre Typzulassung nach dem 1. Januar 2011 erhalten haben. Zum Vergleich: Die neu entwickelte Chemikalie R1234yf hat einen GWP-Wert von 4 und unterschreitet damit den von der EU vorgegebenen Grenzwert von 150 deutlich.
Umweltverbände fordern seit langem, für Autoklimaanlagen den natürlichen Stoff Kohlenstoffdioxid (CO2) zu verwenden. Entsprechende Klimaanlagen sind bereits bis zur Serienreife entwickelt worden. CO2 (R744) wird dabei einfach aus der Atmosphäre entnommen und kann jederzeit wieder dorthin entlassen werden. Eine Erhöhung des Treibhauspotentials entsteht also nicht, sodass Kohlendioxid als natürliches Kältemittel mit dem GWP-Wert 1 bewertet wird. Doch die Automobilindustrie hat sich für R1234yf als neues Kältemittel entschieden. Denn an der existierenden Klimaanlagentechnik seien damit nur geringfügige Änderungen nötig, sagen Fachleute.
Von Jens Vogelsang
Stichwort Flusssäure: Flusssäure (Fluorwasserstoffsäure) ist die wässrige Lösung von Fluorwasserstoff, eine farblose, stechend riechende Flüssigkeit. Die Säure wirkt stark ätzend auf die Haut, die Schleimhäute und die Bindehaut der Augen. Der Stoff wird dabei durch die Haut resorbiert („aufgesaugt“). Dadurch sind Verätzungen tieferer Gewebeschichten und sogar der Knochen möglich, ohne dass eine äußerlich sichtbare Verletzung erkennbar sein muss. Eine (warnende) Schmerzwirkung tritt oft erst mit einer Verzögerung von mehreren Stunden auf. Schmerzstillende Mittel (selbst Betäubungsmittel wie Morphin) sind hierbei fast wirkungslos. Eine handtellergroße Benetzung der Haut mit 40-prozentiger Flusssäure kann durch die resorptive Giftwirkung bereits tödlich wirken. Vo |
Droht bei PKW-Bränden künftig die Gefahr von austretender Flusssäure?