Als in Niedersachsen die Wälder brannten.

Waldbrandkatastrophe ist unvergessen geblieben, tausende Helfer waren im Einsatz

Wipfelfeuer_B188_MeinersenIm August 1975 kam es in Niedersachsen zur größten Waldbrandkatastrophe in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fünf Feuerwehrkameraden gerieten im Verlaufe der Löscharbeiten in einen Feuersturm und verloren auf tragische Weise ihr Leben. Weitere Helfer trugen zum Teil schwere Brandverletzungen davon. Mehr als 8.000 Hektar Wald wurden vernichtet, unzählige Tiere verendeten qualvoll. Als die Katastrophe ihren Höhepunkt erreichte, waren tausende Feuerwehrleute und Soldaten rund um Gifhorn und Celle im Einsatz. Sie kamen aus allen Teilen der Republik. Im Kreis Herford wurde ebenfalls „mobil gemacht“. Der damalige Kreisbrandmeister  Heinz-August Ludewig (Enger) führte den Verband aus der Heimat in das Katastrophengebiet.

 

Der Sommer 1975 ist ungewöhnlich heiß. Tag für Tag klettert das Thermometer auf bis zu 35 Grad. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Die Wälder sind ausgedörrt. Ein Funke genügt, um einen Großbrand auszulösen. Der Herforder Oberkreisdirektor Dr. Ragati appelliert in der Lokalpresse noch einmal an die Vernunft der Bürger: „Niemand sollte ein Feuer irgendwelcher Art entfachen!“

Es ist Freitag, der 8. August 1975. Zu diesem Zeitpunkt stehen in der Südheide, nördlich von Gifhorn, große Wald und Moorflächen in Flammen. Das Feuer überspringt den Elbe-Seitenkanal. Gleich in der Anfangsphase der Löscharbeiten wird ein Einsatzfahrzeug nahe der Ortschaft Neudorf-Platendorf von einer Feuerwalze überrollt. Zwei Feuerwehrmänner erleiden schwere Brandverletzungen und werden in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Gifhorner Kreisbrandmeister Meyer verstirbt auf dem Weg zur Einsatzstelle an Herzversagen.  Am Sonntag, dem 10. August 1975 brechen gleich an mehreren Stellen weitere Waldbrände aus. Betroffen sind die Bereiche Unterlüß/Schmarbeck und Eschede (Landkreis Celle), die mitten im Naturpark Südheide liegen. Ein weiterer Waldbrand wütet einige Kilometer entfernt an der B 188 bei Meinersen/Leiferde (Landkreis Gifhorn). Hier heulen um 11.25 Uhr die Sirenen. Bereits nach kurzer Zeit stehen für den ersten Angriff 13 Ortswehren bereit. Zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr werden weitere 10 Ortsfeuerwehren aus dem Landkreis Gifhorn mobilisiert.  Außerdem rücken Einheiten aus den Nachbarstädten Wolfsburg, Helmstedt und Peine an. Der Landkreis Hannover schickt seine 1. Feuerbereitschaft Hannover-Land/ Neustadt am Rübenberge mit 16 Fahrzeugen in das Krisengebiet. Hinzu kommen sechs Polizeiwasserwerfer aus den Standorten der Bereitschaftspolizei in Braunschweig, Hannover und Osnabrück sowie zwei Bergungspanzer der Bundeswehr.

Fünf Feuerwehrkameraden sterben im Feuersturm.

Um kurz nach 13.00 Uhr erhalten die Besatzungen der Tanklöschfahrzeuge aus Lengede (drei Mann Besatzung), Hohenhameln (sieben Mann Besatzung) und Wolfsburg-Fallersleben (drei Mann Besatzung) von der Einsatzleitung den Auftrag, im Wald ostwärts von Meinersen die Löscharbeiten aufzunehmen. Vor Ort erscheint den Wehrleuten die Situation zunächst völlig ungefährlich. Sie beginnen bei Windstille damit, brennendes Gras auf dem Waldboden abzulöschen. Doch plötzlich bricht unter orkanartigem Rauschen und Brausen ein Feuersturm los. Lange Flammenzungen schießen bis über die Baumwipfel empor, und die Luft füllt sich mit Funken und dichtem Rauch. Das Feuer ist buchstäblich in Sekundenschnelle nördlich an den Männern vorbeigerast und kommt von Osten her ebenfalls auf sie zu. Ein Teil der Wehrleute wird von ihren Fahrzeugen abgeschnitten. Sie laufen durch eine brennende Kiefernschonung bis zum 1.400 Meter entfernten Bahndamm der Strecke Wolfsburg-Hannover und rufen über ein Streckentelefon Hilfe herbei. Die Besatzung des Tanklöschfahrzeugs aus Fallersleben, einem Borgward mit Allradantrieb, unterschätzt die Situation. Sie bleibt zurück und wird von den Flammen eingeschlossen. Der Feuersturm fordert insgesamt fünf Menschenleben. Die abschließende Untersuchung der Staatsanwaltschaft Hildesheim stellt wenige Wochen später  zweifelsfrei die Unschuld aller Beteiligten fest. Das tragische Unglück ist einzig und allein auf höhere Gewalt zurückzuführen.

„Wir brauchen nichts!“

Anfangs glauben die Verantwortlichen noch, schnell Herr der Lage zu werden. So lässt der Celler Oberkreisdirektor am Sonntagabend selbstsicher verlautbaren: „Wir brauchen nichts!“ Dabei ist die Lage längst völlig außer Kontrolle geraten. Wechselnde Winde lenken die Brände immer wieder in eine andere Richtung. Riesige Mengen Bruchholz bieten den Flammen reichlich Nahrung. Das stammt noch von einem Orkan, der im Jahr 1972 über die Region hergezogen war. In der Nacht zum Montag erklärt der Lüneburger Regierungspräsident schließlich den Katastrophenzustand. Mehrere Ortschaften werden sicherheitshalber evakuiert. Eine Feuerwalze rollt unter anderem auf Meinersen zu. Die Zahl der Helfer steigt stetig. Mittlerweile sind rund 8.000 Mann im Einsatz. Aufgrund der Trockenheit ist das Löschwasser knapp. Kilometerlange Schlauchleitungen müssen verlegt werden. Teilweise platzt das Schlauchmaterial, da vor Ort eine Gluthitze herrscht. Aufgrund der schlechten Wegeverhältnisse können nicht alle Brandstellen erreicht werden. Große Probleme gibt es zudem mit dem Funkverkehr. Die Wehren verfügen größtenteils nur über Handsprechfunkgeräte, die nur mit ihrem Heimatkanal bestückt sind. Ein funktionierendes Funkkonzept für einen überörtlichen Einsatz mit mehreren beteiligten Wehren gibt es nicht.

Helfer kommen aus allen Teilen der Republik.

Es ist Dienstag, der 12. August 1975. Westfalen macht mit 100 Tanklöschfahrzeugen und 400 Feuerwehrleuten mobil. Im Kreis Herford werden kurzfristig 11 Tankwagen mit 50 Wehrleuten an der Kreisfeuerwehrzentrale in Hiddenhausen zusammengezogen. Insgesamt umfasst der Verband aus Ostwestfalen rund 50 Fahrzeuge. Die sammeln sich an der Autobahnauffahrt Herford-Ost. Das Kommando hat Kreisbrandmeister Heinz-August Ludewig aus Enger. Am Steuer des TLF 16/24 aus Hiddenhausen Schweicheln-Bermbeck, einem Mercedes-Rundhauber  1113, sitzt Unterbrandmeister Hans-August Brakmann.  „Wir sind über die Autobahn 2 zum Bereitstellungsraum nach Oldendorf im Landkreis Celle gefahren.“ Im Krisengebiet sind jetzt 15.000 Feuerwehrleute und 11.000 Soldaten mit 3.800 Fahrzeugen im Einsatz. Drei Löschflugzeuge (Canadair CL-215) schützen die bedrohten Ortschaften. Sie füllen ihre Löschtanks im Steinhuder Meer mit Wasser. Die Panzer der Bundeswehr erweisen sich ebenfalls als äußerst effektiv. Mit ihnen werden breite Schneisen angelegt, um die Feuerwalzen zum stehen zu bringen. Drei Panzer vom Typ Leopard werden im Waldbrandeinsatz beschädigt. Ein Soldat: „Die Hydraulik verträgt die Hitze nicht!“ Weiterhin kommt ein schienengebundener Löschzug zum Einsatz. Er besteht aus einem Flachwagen, auf dem das Tanklöschfahrzeug der Bahnfeuerwehr Hannover verladen ist, und Kesselwagen, die mit Wasser gefüllt sind. Die Bereitschaft Herford kommt im Bereich Meinersen/Leiferde zum Einsatz. „Wir haben pausenlos Löschwasser im Pendelverkehr herbeigeschafft“, erinnert sich Unterbrandmeister Hans-August Brakmann. Die Verpflegung wird im Bahnhof Leiferde ausgegeben. Als Brakmann am Frühstückstisch die B…-Zeitung aufschlägt, liest er folgende Schlagzeile: „Feuer bedroht wieder Bahnhof Leiferde!“ Das schien zu diesem Zeitpunkt übertrieben. Die Journalisten machen sich offenbar ihre eigenen Gedanken, da sie vom Krisenstab nur unzureichend informiert werden. Die miserable  Zusammenarbeit mit der Presse wird später scharf kritisiert.

Eine Woche bestimmt die Waldbrandkatastrophe in Niedersachsen die Schlagzeilen in den Tageszeitungen, Radio- und Fernsehnachrichten. Nach zehn Tagen ist die Lage schließlich unter Kontrolle. Im Einsatztagebuch ist vermerkt: „Gewitter- und Windwarnungen vom Wetteramt Hannover. Von Südwest zunehmende Neigung zu gewittrigen Niederschlägen.“ Rund 8.200 Hektar Wald und einige Gebäude sind vernichtet. Die Schadenssumme wird auf umgerechnet mehr als 18 Millionen Euro beziffert. Die einzelnen Brandursachen können nie vollständig geklärt werden. Die Vermutungen reichen von Funkenflug und Fahrlässigkeit bis hin zu vorsätzlicher Brandstiftung.

Die Folgen:

Die Brandkatastrophe zeigt deutlich: Es gab organisatorische Mängel, aber auch Defizite in der Ausstattung der Feuerwehren. Das niedersächsische Innenministerium erließ als Folge der Waldbrandkatastrophe unter anderem eine technische Weisung für ein TLF 8 (W), den so genannten Niedersachsentanker  (geländegängiges Tanklöschfahrzeug mit 1.800 Liter Löschwasser und Sonderausführung Waldbrandbekämpfung). Auf Bundesebene wurden im Rahmen des Katastrophenschutzes LF 16-TS beschafft, die mit zwei Pumpen und 30 B-Schläuchen ausgerüstet sind. Außerdem wurden die Wehren flächendeckend mit Vielkanal-Funkgeräten ausgestattet. Luftbeobachter behalten nun in den Sommermonaten besonders gefährdete Waldgebiete im Blick. In den vergangenen Jahren wurden die Waldbrandüberwachungsflüge („Florian Flugdienst“) zum Teil aus Kostengründen durch ein computergestütztes Kamera-Überwachungssystem ersetzt.

Nach rund 20 Jahren hatte sich die Heidelandschaft von den Folgen des Jahrhundertfeuers erholt. Wegen des kargen Sandbodens kam eine Wiederaufforstung mit Laubbäumen nur an wenigen Stellen in Betracht.

In einem Waldgebiet östlich von Meinersen an der B 188 erinnert ein Gedenkstein an die Opfer der Brandkatastrophe. „Hier starben am 10. Aug. 1975 fünf Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren im Kampf gegen den Feuersturm“, steht darauf geschrieben.

Einheiten aus den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke bilden heute eine gemeinsame Bereitschaft der Bezirksreserve Detmold mit ca. 160 Einsatzkräften. Im Katastrophenfall wird der Verband unter Leitung des stellvertretenden Kreisbrandmeisters Bernd Kröger (Spenge) von der Abteilungs-Führungsleitstelle in Bielefeld alarmiert. Zuletzt war die Bezirksreserve im Juni 2011 im Einsatz, als im Naturschutzgebiet Amtsvenn an der deutsch-niederländischen Grenze ein großes Moorgebiet brannte.

von Jens Vogelsang

Quellen:
Das große Feuer: Die 9 Tage von Meinersen (9.08. bis 17.08.1975)
Wikipedia (freie Enzyklopädie): Brand in der Lüneburger Heide
NDR: Die größten Katastrophen des Nordens.
Westfalen-Blatt Nr.185 vom 13.08.1975

 

Wasserwerfer-BGS
Löschfahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr, der Bundeswehr sowie Wasserwerfer
des BGS sammeln sich in Eschede für den Einsatz (Foto: © Hildegard Markmann)

 

Gedenkstein
Gedenkstein am Unglücksort für die fünf getöteten Feuerwehrmänner (Foto: © Axel Hindemith)

TLF-8-18
TLF (Unimog) Geländegängiges TLF 8/18 auf Unimog-Fahrgestell
für den Einsatz in Waldgebieten. (Foto: J. Vogelsang)

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Cessna des Feuerwehrflugdienstes Niedersachsen (Foto: KFV Lüneburg)

Feuerbereitschaft_Peine
Die Feuerbereitschaft Peine geht am 11.08.1975 in Bereitstellung.
(Fotoarchiv des LZ Schweicheln-Bermbeck)

Situation_B188-Meinersen
Situation an der B 188 bei Meinersen am 10.08.1975 um 13.45 Uhr
(Fotoarchiv des LZ Schweicheln-Bermbeck)

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Sammelpunkt Kreisfeuerwehrzentrale Hiddenhausen-Eilshausen: Elf Tankwagen
werden nach Gifhorn entsandt. (Foto: Westfalen-Blatt)

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Wipfelfeuer an der B 188 bei Meinersen am 10.08.1975 um 13.50 Uhr
(Fotoarchiv des LZ Schweicheln-Bermbeck)