Feuerwehrleute versuchen zu verstehen, was passiert ist

Einsatznachbesprechung nach Brandkatastrophe

DSC 1154Vlotho/Kreis Herford. Die 16-jährige Annika R. und ihr Großvater Hermann R. (79) sind am Silvesterabend bei einem verheerenden Wohnungsbrand gestorben. (Der KFV berichtete darüber.) Die Tragödie  hat in Vlotho-Valdorf, dort wo die Beiden bekannt waren, großen Schmerz und eine tiefe Trauer ausgelöst und bei der Feuerwehr Vlotho tiefe Spuren hinterlassen. Unter den Wehrleuten, die zum Teil psychologisch betreut werden mussten, herrscht noch immer Fassungslosigkeit. Warum musste Familie R. das Schicksal so hart treffen, fragen sich die ehrenamtlichen Helfer, die in jener Schicksalsnacht vor Ort waren, immer wieder.

Am Dienstag (20.01.2015) kamen Abordnungen aller neun Wehren in der Kreisfeuerwehrzentrale in Hiddenhausen-Eilshausen zusammen. Kreisbrandmeister Wolfgang Hackländer hatte darum gebeten. Einziger Tagesordnungspunkt: Die Brandkatastrophe in Vlotho, mit der das Jahr 2014 im Kreis Herford ein tragisches Ende genommen hatte. Während der Nachbesprechung sollten die Ereignisse in erster Linie einsatztaktisch aufbereitet werden. Vlothos Wehrführer Torsten Sievering wirkte noch immer tief betroffen. Einige seiner Aktiven hatten bereits vor dem Unglück einen persönlichen Kontakt zu Familie R. gepflegt und kannten das 16-jährige Mädchen und ihren Großvater. Deshalb hatte sich Notfallseelsorger Ralf Steiner direkt nach dem Unglück um die Mannschaft gekümmert. Steiner ist Pfarrer in Exter und gleichzeitig aktiver Feuerwehrmann. Er war in der Schicksalsnacht sofort vor Ort, hatte ein Gebet gesprochen und Trost gespendet. „Um drei meiner Leute mache ich mir weiter ernste Sorgen“, sagte Sievering. Sie hätten das schreckliche Ereignis noch nicht verarbeitet.

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Am 31. Dezember ereignete sich in Vlotho eine Brandkatastrophe, bei der zwei Menschen starben.

Das Wohnhaus der Familie R. an der Straße Am Lichtensberg in Vlotho-Valdorf gehört zu einem ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesen. Es befindet sich in Hanglage am Stadtrand,    an der Grenze zur Gemeinde Kalletal (Kreis Lippe). Das Gerätehaus der (zuständigen) Löschgruppe Steinbründorf liegt etwa drei Kilometer Luftlinie entfernt. Jeweils acht Kilometer Luftlinie misst die Anfahrtsstrecke für die Einsatzkräfte vom Löschzug Vlotho und der Löschgruppe Exter. Die Wehrführung aus Vlotho erläuterte während der Nachbesprechung ein weiteres Problem für die Einsatzkräfte, das sich aufgetan hätte: Das Anwesen der Familie R. ist nur über einen rund 100 Meter langen Feldweg zu erreichen, der zudem leicht ansteigt.

Das Löschgruppenfahrzeug 10/6 (Florian Vlotho 4 LF 10.1) aus Steinbründorf erreichte um 22.59 Uhr als erste Einheit das brennende Wohnhaus. Der Gruppenführer hatte zuvor bereits „auf Sicht“ die Erhöhung der Alarmierungsstufe veranlasst. Schon während der ersten Lageerkundung schlugen den Feuerwehrleuten aus allen Fensteröffnungen im Erdgeschoss die Flammen entgegen. „Hier war nichts mehr zu machen“, schilderte Brandmeister Jan G. die ausweglos erscheinende Situation vor Ort. „Wir haben uns daher schnellstmöglich dazu entschlossen, direkt im Obergeschoss die Menschenrettung einzuleiten“, sagte G., „und ein Fenster zur Straßenseite hin erschien uns als bester Angriffsweg.“ Der Brandmeister und sein Truppmann, Oberfeuerwehrmann Mario G., kletterten daraufhin die vierteilige Steckleiter hinauf, schlugen mit der Axt die Scheibe ein und starteten mit der Suche nach den vermissten Menschen. Das gesamte Obergeschoss sei komplett „kalt-verraucht“ gewesen, erläuterte G.. Es herrschte „maximale Nullsicht“. Die beiden Feuerwehrmänner (interne Bezeichnung: Atemschutztrupp 26) tasteten sich mit der Rechte-Hand-Technik und im Seitenkriechgang durch die verwinkelten Räumlichkeiten. Sie suchten systematisch alle Bereiche mit der Wärmebildkamera ab. Sämtliche Zimmertüren seien geschlossen gewesen, erinnerte sich G.. Hinter einer Tür fand Trupp 26 schließlich Annika R. und ihre Freundin Vanessa (17), die zu Besuch nach Vlotho gekommen war. Beide lagen Kopf an Kopf auf dem Boden. Die Feuerwehrmänner griffen nach einem der Mädchen, wie sich später herausstellte war es die 17-Jährige, und trugen sie im Rautek-Rettungsgriff zur Einstiegs-Fensteröffnung, wo sie über die Steckleiter nach draußen gelangte. Trotz schwieriger Boden und Platzverhältnisse war es mittlerweile gelungen, die Drehleiter in Stellung zu bringen. Vom Leiterkorb aus rückte ein zweiter Trupp über einen seitlichen Balkon in das Obergeschoss vor. Kurz danach kam es zu einer heftigen Durchzündung, die sich offenbar im Erdgeschoss ereignet hatte. Es habe keinerlei Voranzeichen gegeben, wie etwa „pulsierenden Rauch“, berichteten die Feuerwehrleute während der Besprechung in Eilshausen. Die Flammen schossen durch das Treppenhaus nach oben und züngelten aus der Balkontür, die zuvor noch Angriffsweg gewesen war, hervor. Anschließend konnte Abschnittsleiter Thomas Twelsiek einen der beiden eingesetzten Trupps über Funk nicht mehr erreichen. Er löste deshalb „Mayday-Alarm“ aus. Der Bruder einer beteiligten Feuerwehrfrau durchlebte währenddessen vor dem Haus bange Minuten. Er wurde von seinen Feuerwehrkameraden beruhigt. Wie sich kurze Zeit später herausstellte, hatten sich die Einsatzkräfte rechtzeitig vor den Flammen in Sicherheit bringen können. Annika R. wurde unmittelbar danach durch die Fensteröffnung in den Korb der Drehleiter getragen. Sie starb wenig später, trotz aller Bemühungen des Rettungsdienstes. Als die Löschmaßnahmen im Erdgeschoss erste Erfolge zeigten und die unbeschreibliche Hitze nachließ, rückte die Feuerwehr durch einen Eingang an der Gebäuderückseite in das Haus vor. Schnell wurde die Leiche des Großvaters gefunden und geborgen.

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Während einer Einsatznachbesprechung in der Kreisfeuerwehrzentrale versuchen die Feuerwehrleute zu verstehen, was passiert ist.

Leitender Notarzt Marco K. berichtete über die Verletzungen der beiden Mädchen und die Situation des Rettungsdienstes. Der zunächst kritische Gesundheitszustand des 17-jährigen Mädchens, K. sprach von einem Kreislaufstillstand, hätte schnell stabilisiert werden können. „Noch während die medizinische Versorgung vor Ort lief, wurde ihr Sekundärtransport vom Klinikum Herford in eine Verbrennungsklinik geplant“, sagte der Notfallmediziner. „Wichtig ist, dass künftig Patienten-Übergabe-Punkte festgelegt werden, die außerhalb des Gefahrbereichs liegen“, meinte K. mit Blick auf die Situation in Vlotho nach der Rauchgas-Durchzündung.
Im weiteren Verlauf der Löschmaßnahmen befürchtete die Feuerwehr einen Wärmestau unter dem Dach und dadurch eine weitere Brandausbreitung. Sogenannte Fognails sollten für Abhilfe sorgen. Die Löschlanzen können durch Wände oder Türen geschlagen werden, um schwer zugängliche Brände im  Gebäudeinneren mit einem feinen Wassernebel abzulöschen bzw. herunterzukühlen. „Das Dach war allerdings so gut gedämmt, dass die Länge der Nägel nicht ausreichte“, beschrieb Thomas Twelsiek den Versuch. Das Haus der Familie R. war vor dem verheerenden Brand renoviert und mit einem Wärmeverbundsystem versehen worden. So blieb den Wehrleuten nur die Möglichkeit, die Flammen durch einen massiven Wassereinsatz aus dem Wenderohr der Drehleiter zu löschen.

Als Ursache der Katastrophe vermuten die Brandermittler der Kripo einen Feststoffofen. Im Erdgeschoss soll sich außerdem ein Lager aus Holzscheiden und Briketts befunden haben, das wahrscheinlich die enorme Hitze verursacht hat. Zwei Räume im Erdgeschoss waren daraufhin  soweit ausgebrannt, dass der komplette Putz von den Wänden gefallen war und die Flammen von der Möblierung nicht einmal Reste übrig gelassen hatten.  
Im Regierungsbezirk Detmold hatte es im vergangenen Jahr 19 Brandtote geben, so Kreisbrandmeister Hackländer. „Das ist in NRW ein trauriger Rekord!“ Vor allem ältere Menschen und Kinder seien betroffen gewesen.

Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)

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Die Karte zeigt die Entfernungen zwischen der Einsatzstelle (schwarzer Punkt am rechten Rand)
und den Gerätehäusern der Weserstadt, die ebenfalls durch schwarze Punkte gekennzeichnet sind.

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Das Anwesen der Familie R. ist nur über einen schmalen Feldweg zu erreichen.

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Ein Fenster im Obergeschoss dient der Feuerwehr zunächst als einziger Angriffs- u. Rettungsweg.

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Über einen seitlichen Balkon rücken weitere Trupps in das Obergeschoss vor.
Auf dem Mauerwerk sind deutliche Spuren der Rauchgas-Durchzündung zu sehen.

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Nur mit Mühe gelingt es der Feuerwehr, eine Aufstellfläche für die Drehleiter zu finden.

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Situation an der Gebäuderückseite: Von hier aus wird später die Leiche des Großvaters geborgen.