Vorsicht an der (Stahl-)Fahrbahn!

Bahnnotfallmanager zu Gast beim Löschzug Schweicheln-Bermbeck

P1030452Hiddenhausen. Jürgen Methling hat einen nicht ganz alltäglichen Beruf. Er ist Notfallmanager der Deutschen Bahn (DB). Kommt es zu einem Unfall mit einem Schienenfahrzeug oder einem Störfall auf der Strecke,  ist sein Fachwissen gefragt. Er steht dem Einsatzleiter der Feuerwehr dann als Fachberater zur Seite; denn fast immer sind solche Einsätze mit besonderen Gefahren verbunden.  „Wir haben die ICE-Strecke quasi vor der Haustür“, sagt Torge Brüning, stellvertretender Leiter des Löschzugs Schweicheln-Bermbeck. „Das Thema hat für uns daher eine gewisse Brisanz!“ Methling stand den Wehrleuten deshalb im Gerätehaus an der Herforder Straße Rede und Antwort.

Mitten durch Schweicheln-Bermbeck verläuft die Haupteisenbahnstrecke vom Ruhrgebiet nach Hannover. Gleich fünf Schienenwege liegen hier nebeneinander. Ein Gleis zweigt in Bermbeck ab. Es führt unter den anderen hindurch Richtung Kirchlengern und weiter nach Osnabrück.
Im Hauptbahnhof Bielefeld haben fünf Bahnnotfallmanager ihre Büros. Die Eisenbahner kümmern sich von hier aus um die Gleisinspektion sowie die Leit-, Sicherungs- und Stellwerkstechnik. Sie sind außerdem für die Sicherheit im Bahnverkehr besonders geschult. Einer von ihnen ist Jürgen Methling, der aus Ahlen kommt. „Mein Zuständigkeitsbereich reicht von Herford bis Neubeckum“, sagt der DB-Mann, der für die sechs Stellwerke mit rund 50 Mitarbeitern auf dem Streckenabschnitt zuständig ist. Dieser Bereich entspricht in etwa auch dem Notfallbezirk, der von Bielefeld aus abgedeckt wird. Kommt es zu einem Unglücksfall, so ist der  Bahnnotfallmanager in aller Regel innerhalb von 30 Minuten am Ort des Geschehens. Das verspricht zumindest die DB AG.   
Mit 160 Stundenkilometern rauschen die bis zu 350 Meter langen ICE-Züge durch Schweicheln. Erst nach rund 700 Metern käme ein solcher Expresszug bei einer Notbremsung zum stehen, sagt Methling. Vorwiegend nachts rattert der Güterverkehr durch den Ort. Ein solcher Zug kann schon einmal 700 Meter lang sein und explosives Material befördern. So fasst ein einziger DB-Kesselwagen 120.000 Liter Flüssiggas. Wichtig ist, dem rollenden Schienenverkehr niemals zu nahe zu kommen. Methling spricht von einem Sicherheitsabstand von drei Metern, der von der Gleismitte aus zu beiden Seiten mindestens eingehalten werden müsse. Bei sehr schnell fahrenden Zügen sei wegen der Sogwirkung ein noch größerer Abstand einzuhalten. Kommt es zu einem „gefährlichen Ereignis“ im Schienenverkehr, dann steht die Kreisleitstelle in Hiddenhausen-Eilshausen sofort in Kontakt zur DB-Notfall-Leitstelle in Duisburg. Mit der Alarmierung der Einsatzkräfte sperrt der Fahrdienstleiter umgehend den betroffenen Streckenabschnitt. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem Bestätigungsfax „nach amtlichem Muster“ zu. Erst wenn dieses Schriftstück vorliegt, darf der „Gefahrbereich Gleiskörper“ durch die Einsatzkräfte betreten werden. Das Fax verliere allerdings seine Gültigkeit, sobald der Bahnnotfallmanager vor Ort sei, erläutert Methling. Von diesem Zeitpunkt an stimmen Notfallmanager und Einsatzleiter alle weiteren Maßnahmen persönlich ab. „Dazu kann beispielsweise eine Lockerung der Gleissperrung gehören!“ Ein Triebfahrzeugführer fahre dann mit höchstens 40 Stundenkilometern an der Unfallstelle vorbei und gebe auf Anweisung einen zusätzlichen „Achtungspfiff“ ab. „Vor Weichen weichen“, dieser Sicherheitshinweis muss von den Rettungskräften weiterhin unbedingt beachtet werden.  „Gerät der Fuß zwischen Weichenzunge und Schienenstrang besteht Quetschgefahr!“ Eine  Weiche kann bei gesperrtem Fahrbetrieb weiterhin umlaufen. Besonders tückisch seien sogenannte Schnellläuferweichen, wie es sie in Hamm gebe, sagt Methling, der für den dortigen Regierbahnhof in seiner Bereitschaftszeit als Notfallmanager zuständig ist.
Als nächste Gefahrenquelle kommt der DB-Mann auf die Oberleitung zu sprechen. Der Fahrdraht verläuft in einer Höhe von etwa 5,50 Meter und steht unter einer Spannung von 15.000 Volt. Auch hier gelte ein Sicherheitsabstand von mindestens drei Metern, warnt Methling; denn anderenfalls drohe ein tödlicher Stromüberschlag. Er berichtet aus seinem Einsatzalltag über einen Fall aus Soest, der sich 2005 ereignet hatte. Damals waren angetrunkene Fußballfans auf einen Militärzug geklettert. Ein 18-Jähriger hatte daraufhin einen tödlichen Stromschlag erlitten. Seine Kleidung war in Brand geraten.  
Die Bahn verfügt über ein eigenes bundesweites Bahnstromnetz. Von Köln aus könne der Saft quasi mit einem Tastendruck abgeschaltet werden, sagt Methling. Doch das garantiert noch keine Sicherheit. Eine ausgeschaltete Oberleitung kann nämlich eine sogenannte Restspannung von bis zu 7.000 Volt führen. Um eine vollständige Spannungsfreiheit zu erreichen und diese für den Verlauf des Rettungseinsatzes sicherzustellen, muss die Oberleitung durch den Notfallmanager bahngeerdet werden. Er ist für diesen Vorgang, bei dem die Oberleitung vor und hinter der Unfallstelle über Erdungsstangen mit der Fahrschiene verbunden wird, besonders ausgebildet. Vier Erdungsstangen hat Jürgen Methling neben Werkzeug, Absperrmaterial und Ölbindemittel an Bord seines Einsatzfahrzeugs, eines VW-Transporters T 5, der mit Blaulicht und Martinshorn ausgerüstet ist.        
Alle zwei Jahre geht es für den Eisenbahner nach Kassel, wo ein spezielles Schulungsprogramm für Bahnnotfallmanager stattfindet. „Dazu gehört das Bahnerden, aber auch das Verhalten im Straßenverkehr mit eingeschaltetem Sondersignal!“ Methling ist überzeugt, dass die Bahn viel für die Sicherheit ihrer Kunden tue. Es gebe beispielswiese die punktförmige Zugbeeinflussung, bei der zwischen Streckenpunkten am Gleis und dem Schienenfahrzeug Informationen ausgetauscht würden. Bei Geschwindigkeiten über 160 Stundenkilometern seien die Informationen an der Strecke für das menschliche Auge nur noch schwer wahrnehmbar. Deshalb stehe die Streckenzentrale dann über einen im Gleis verlegten Linienleiter in ständigem Kontakt mit der Technik im Zug. „Notfalls greifen diese Systeme in die Fahrzeugsteuerung ein und veranlassen eine Zwangsbremsung!“
Im Jahr 2013 wurden die Einsatzkräfte der Schweichelner Feuerwehr zuletzt zu einem Unfall im Gleisbereich gerufen. Damals starb ein Mensch, der von einer Privatbahn erfasst worden war. „Die Evakuierung einer Regionalbahn, die nach einem Oberleitungsschaden stehen geblieben war, mussten wir ebenfalls bereits organisieren“, sagt Löschzugführer Nicholas Jost. Spektakulär verlief ein Einsatz im Januar 2009, als ein verkeilter LKW unter der Bahnbrücke im Ortszentrum in Brand geraten war. Auch bei diesem Einsatz stand ein Kollege von Jürgen Methling den Feuerwehrleuten mit Rat und Tat zur Seite.

Von Jens Vogelsang
(Text u. Fotos)

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Bahnnotfallmanager Jürgen Methling ist nach Schweicheln-Bermbeck gekommen und gibt den Feuerwehrleuten Sicherheitstipps.

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Der Bahnnotfallmanager steht dem Einsatzleiter der Feuerwehr als Fachberater zur Seite. (Foto:  © DB AG)

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Bundesweit gibt es sieben DB-Notfallleitstellen, die rund und die Uhr erreichbar sind. (Foto: © DB AG)

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Das Erden der Oberleitung und die Kontrolle auf Spannungsfreiheit ist Aufgabe des Bahnnotfallmanagers. (Foto: © DB AG)

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Achtung: Quetschgefahr! Darum vor „Weichen weichen!“ (Foto: © DB AG)

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Druckgas-Kesselwagen der DB fassen 120.000 Liter Flüssiggas.
Sie sind mit einem orangefarbenen Streifen gekennzeichnet. (Foto: © DB AG)

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Soest 2005: Ein 18-Jähriger steigt auf einen Panzer und wird von einem Stromüberschlag tödlich getroffen.

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Januar 2009: Ein verkeilter LKW gerät unter der Bahnunterführung in Schweicheln in Brand. Feuerwehr und Bahnnotfallmanager rücken aus.

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Einsatzfahrzeug des Bahnnotfallmanagements. Zur Ausrüstung des Transporters gehören vier Erdungsstangen.

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August 2013: Unweit des Haltepunktes Schweicheln wird eine Person von einer Privatbahn erfasst.
Ein Güterzug passiert in langsamer Fahrt die Unfallstelle. Die übrigen Gleise sind zu diesem Zeitpunkt noch gesperrt.