Wie der Tod eines Achtjährigen das gesamte Rettungswesen veränderte

50 Jahre Björn Steiger Stiftung

Bjoern Steiger Stiftung aWinnenden. Auf dem Heimweg vom Schwimmbad wurde Björn Steiger von einem Auto erfasst. Passanten alarmierten sofort nach dem Unglück Polizei und Rotes Kreuz. Trotzdem dauerte es fast eine Stunde, bis der Krankenwagen eintraf. Der Junge starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Er wurde nur acht Jahre alt. Björn hätte vielleicht gerettet werden können; doch 1969 gab es in Deutschland noch keinen funktionierenden Rettungsdienst und keine einheitlichen Notrufnummern „110“ und „112“. Die Politik sah zu jener Zeit auch keine Notwendigkeit, hieran etwas zu ändern. So ergriffen die Eltern, das Architekten-Ehepaar Siegfried und Ute Steiger, selbst die Initiative und legten den Grundstein für unser heutiges Rettungswesen. Seit mittlerweile 50 Jahren setzt sich die Björn Steiger Stiftung für die Verbesserung der Nothilfe ein.

Winnenden (Baden-Württemberg), 3. Mai 1969: Der Unfallfahrer ist an jenem Samstagnachmittag mit einer verschmutzten Windschutzscheibe unterwegs. Als es anfängt zu regnen schaltete er die Scheibenwischer ein. Der Schmierfilm nimmt ihm die Sicht. Er bremst kurz, fährt dann aber weiter. „Björn hat wahrscheinlich gedacht, er bleibt stehen und ist losgelaufen!“, erzählt Vater Siegfried Steiger (89) über die Ereignisse von damals, die ihn und seine Frau Ute nie losgelassen haben. Das Auto erfasst den Jungen ungebremst. Er erleidet einen Kreislaufschock. Siegfried Steiger beatmet seinen Sohn gemeinsam mit einem Arzt, der zufällig in der Nähe ist. Die Polizei rät davon ab, den Jungen mit dem Privatwagen ins Krankenhaus zu fahren, da er Sauerstoff benötige. Erst nach 56 Minuten ist ein Krankenwagen vor Ort. Doch der am Unfallort dringend benötigte Sauerstoff gehört nicht zur Ausrüstung des Fahrzeugs. Die Fahrt zum Krankenhaus Waiblingen überlebt Björn nicht. Er stirbt eine Woche vor seinem neunten Geburtstag. Noch in der Nacht fassen Siegfried und Ute Steiger den Entschluss, etwas zu tun. „Das was wir hatten war ein armseliger Krankentransport, mehr nicht!“, sagt Steiger.

Schnelle Hilfe zu bekommen, schien reine Glückssache zu sein!

Aus heutiger Sicht sind die Zustände von damals schwer zu glauben. Einheitliche Notrufnummern gab es Ende der 1960er Jahre nur in wenigen Großstätten. Notrufsäulen standen an den Autobahnen, nicht aber an Bundes- und Landstraßen. Um aus einer Telefonzelle den Rettungsdienst, die Feuerwehr oder Polizei zu verständen, musste man deren örtliche Rufnummern kennen. Es gab keine ständig besetzten Leistellen. Schnelle Hilfe zu bekommen, schien damals reine Glückssache zu sein! Eine umfangreiche notfallmedizinische Erstversorgung der Patienten, die heute überall in Deutschland Standard ist, gehörte ohnehin nicht zu den Aufgaben der Sanitäter. Sie hatten in erster Linie den Auftrag, die Patienten so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen.

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Der Unfalltod ihres Sohnes macht Siegfried und Ute Steiger (Foto) bewusst, dass die Notfallhilfe in der
Bundesrepublik erhebliche Mängel aufweist. Sie gründen deshalb am 7. Juli 1969 die Björn Steiger Stiftung, die mit einem
15-Punkte-Programm zur Reform des Rettungswesens beiträgt. Es gilt heute als weltweit vorbildlich.
(Foto aus den 1970er Jahren: Björn Steiger Stiftung)

Niemand fühlte sich zuständig

Die quälenden Gedanken an den Unfalltot ihres Kindes ermutigten das Architekten-Ehepaar noch im selben Jahr zur Gründung der Björn Steiger Stiftung. Ziel sollte sein, die Rettungskette zu beschleunigen, Notfall-Meldeeinrichtungen zu installieren und die Qualität des Rettungswesens zu verbessern. Und das war zunächst gar nicht so einfach. Überall stießen Steigers auf taube Ohren. Im Jahr 1969 fühlte sich nämlich weder auf Landes- noch auf Bundesebene jemand für die Notfallhilfe zuständig. Es gab weder Gesetze noch Richtlinien. Die Notfallhilfe hatte man vielerorts unkontrolliert den Hilfsorganisationen überlassen. Mit einem 15-Punkte-Programm und der Unterstützung der Medien gelang es der Björn Steiger Stiftung zunächst Zuständigkeiten zu schaffen und nach und nach die dringend notwendigen Veränderungen durchzusetzen. Die Stiftung unterstützte die Entwicklung des ersten modernen Rettungswagens, ließ im Verlaufe der Jahre rund 7.000 Notrufsäulen an Bundes- und Landstraßen installieren, baute die Deutsche Rettungsflugwacht auf und finanzierte im Rahmen des Projektes „Kampf dem Herztod“ rund 26.000 Laien-Defibrillatoren zur Wiederbelebung. Die 24-Stunden-Versorgung mit einem Notarztwagen, der Baby-Notarztwagen und Organtransportwagen gehen auf ihre Initiative zurück. Um eingeklemmte Unfallopfer schneller retten zu können, entwickelte die Stiftung bereits in den 1970er Jahren gemeinsam mit der Feuerwehr Stuttgart einen geländegängigen Schnellbergungswagen (SBW), den Vorläufer der heutigen Vorausrüstwagen (VRW).

Dickschädel hat sich durchgesetzt

Zu den größten Errungenschaften der Björn Steiger Stiftung gehört allerdings die Einführung der Notrufnummern „110“ und „112“. Sie wurden 1973 auf einer Sitzung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler beschlossen – bundesweit einheitlich, ohne Vorwahl und gebührenfrei. Fast vier Jahre hatte Siegfried Steiger dafür gekämpft. Der damalige Bundespostminister, Horst Ehmke, überbrachte ihm die gute Nachricht persönlich. „Ihr Dickschädel hat sich durchgesetzt!“

Die Zahl der Verkehrstoten erreichte im Jahr 1970 ihren traurigen Höhepunkt. Damals starben 21.332 Menschen auf den westdeutschen Straßen. In den folgenden Jahren ging diese Zahl trotz einer rasanten Zunahme des Straßenverkehrs deutlich zurück. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland noch 3.265 Unfalltote zu beklagen. Das ist nicht nur auf bessere Verkehrsbedingungen und sicherere Fahrzeuge zurückzuführen, sondern auch auf eine verbesserte Notfallhilfe. Die Björn Steiger Stiftung hat seit ihrer Gründung maßgeblich dazu beigetragen. „Wenn sein Tod einen Sinn haben kann, dann den, dass wir in seinem Namen anderen Menschen helfen“, sagt Siegfried Steiger über seinen verstorbenen Sohn. (Redaktion: kfv-herford.de; Quelle: Björn Steiger Stiftung, Winnenden)

-Vo-

Mehr Informationen? www.steiger-stiftung.de

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Krankenwagen aus den 1960er Jahren. (Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)

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Seine Ausstattung war spartanisch. (Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)

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Währenddessen gleichen die Rettungswagen der heutigen Generation einer kleinen, mobilen Intensivstation.
(Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)

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Vor dem Abtransport ins Krankenhaus wird der Patient notfallmedizinisch stabilisiert und versorgt,
wie diese Demonstration beim Tag der offenen Tür an der Kreisfeuerwehrzentrale in Hiddenhausen zeigt.
(Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)