Mähdrescher-Schneidwerk wird Landmaschinen-Technikerin zum Verhängnis

Rettungsdienst Herford und Feuerwehr Hiddenhausen im gemeinsamen Übungseinsatz20220614 202400

Herford. Schwebt ein Mensch nach einem Unfall in Lebensgefahr, zählt jede Minute. Notarzt und Notfallsanitäter übernehmen Hand in Hand die medizinische Versorgung, während die Feuerwehr für die technische Rettung zuständig ist. Ein solches Szenario haben der Rettungsdienst Herford und der Löschzug Hiddenhausen Schweicheln-Bermbeck am Dienstagabend (14.06.2022) gemeinsam geübt. Maxine Lindemann (20), Finja Höfer (21) und Marleen Bitter (21) standen dabei vor ihrer ersten großen Herausforderung: Sie absolvieren zurzeit ihre Berufsausbildung zur Notfallsanitäterin und übernahmen die Erstversorgung der „schwerverletzten Landmaschinen-Technikerin“. Am Ende zeigte sich Dr. Steffen Grautoff, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Herford, zufrieden. „Die Drei haben Ruhe bewahrt und die Lage professionell abgearbeitet.“

Gegen 19.30 Uhr geht der „Notruf“ bei der Kreisleitstelle ein. Auf dem Gelände des landwirtschaftlichen Lohnunternehmens Breder in Herford-Diebrock, so die Meldung, sei eine Mitarbeiterin in das Schneidwerk eines Mähdreschers geraten. Kurze Zeit später trifft die Rettungswagenbesatzung am Strangweg ein. Die angehenden Notfallsanitäterinnen sind in diesen Minuten auf sich allein gestellt. Sie verschaffen sich einen ersten Überblick. Die „Landmaschinen-Technikerin“ ist offenbar von den Zinken der Mähdrescher-Haspel in das Schneidwerk gezogen worden, hat sich dabei schwere Verletzungen zugezogen und liegt jetzt auf dem Schneidwerksboden. Annika Nitschke vom DRK Herford-Stadt übernimmt die Rolle des Unglücksopfers. Die 22-Jährige ist in realistischer Unfall- und Notfalldarstellung geschult. Sie ist im Gesicht kreidebleich und schreit vor Schmerzen. Ihre künstlichen Wunden aus Theaterschminke, die einen offenen Armbruch und eine klaffende Kopfplatzwunde zeigen, unterstreichen den Ernst der Lage.

 

20220614 201323Eine „Landmaschinen-Technikerin“ liegt schwerverletzt im Schneidwerk eines Mähdreschers.

 

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Rettungsdienst und Feuerwehr bemühen sich gemeinsam um ihre Versorgung und Befreiung.

 

Kritisches C-Problem

Die Auszubildenden des Rettungsdienstes lassen sich von der erschreckend realistischen Situation allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Finja Höfer, sie hat die Aufgabe als Transportführerin übernommen, fordert über Funk sofort Verstärkung an: „Notarzt und Feuerwehr zur Einsatzstelle!“ Das ABCDE-Schema hilft den angehenden Notfallsanitäterinnen bei der Untersuchung ihrer Patientin, die in der Haspel des Schneidwerks eingeschlossen ist. Ein erster Scheck ergibt, dass Atemwege (A wie Airway) und Atmung (B wie Breathing) nicht betroffen sind. „Dafür hat die offene Armfraktur zu einer schweren arteriellen Blutung und damit einem kritischen C-Problem (C wie Circulation) geführt“, erklärt Florian Rabeneck. Der erfahrene Notfallsanitäter der Feuerwehr Herford behält die Situation als Praxisanleiter im Blick und versorgt die Auszubildenden ständig mit neuen Informationen zum jeweils vorliegenden Verletzungsmuster und Gesundheitszustand. Die Auszubildenden stillen die Blutung mit dem sogenannten Tourniquet, einem Knebel, der den arteriellen Blutfluss unterbindet. „Sie haben damit genau richtig gehandelt“, sagt Rabeneck. Während der schnellen Trauma-Untersuchung (STU) wird klar, dass sich die Patientin zudem eine schwere Beckenverletzung zugezogen hat (E wie Exposure). Mit Hilfe einer Beckenschlinge gelingt es den angehenden Notfallsanitäterinnen die Blutung einzudämmen. Trauma-Verletzungen seien noch gar nicht Thema der schulischen Ausbildung gewesen, meint Rabeneck. „Dafür hat alles sehr gut geklappt!“

 

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Die angehenden Notfallsanitäterinnen bewahren Ruhe und arbeiten die Lage professionell ab.

 

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(v.l.) Maxine Lindemann, Praxisanleiter Florian Rabeneck, Notarzt Marvin Deslandes und Finja Höfer

Antriebskette abgenommen

Zwischenzeitlich ist Verstärkung vor Ort. Marvin Deslandes, Notarzt am Klinikum Bielefeld-Mitte, koordiniert die weitere medizinische Versorgung der jungen Frau. Maxine, Finja und Marleen legen unter Anleitung zwei großvolumige Zugänge, sodass ihr Flüssigkeit und Schmerzmittel zugeführt werden können. Währenddessen bereiten Gruppenführer Marco Elmers und seine Mannschaft vom Löschzug Schweicheln-Bermbeck die technische Rettung der Schwerverletzten vor. Sie lösen die Antriebskette für das Schneidwerk, sodass sich die Haspel behutsam drehen lässt. Rettungsdienst und Feuerwehr können die Patientin, die zwischenzeitlich auf einem Rettungsbrett (sog. Spineboard) liegt, schließlich vorsichtig unter den Haspelzinken durchschlängeln. Kurzzeitig hatte Elmers erwogen, dass komplette 3,60 Meter breite Schneidwerk abzumontieren. Jetzt zeigt sich der Gruppenführer erleichtert, dass es dazu nicht kommen musste. „Das Vorsatzgerät wiegt rund 400 Kilogramm!“ Die Schwerverletzte wird schließlich mit einer Fahrtrage zum Rettungswagen gebracht und dort für den Transport ins Krankenhaus weiter stabilisiert.            

Dr. Steffen Grautoff zieht ein positives Fazit. Er hält gemeinsame Übungen von Rettungsdienst und Feuerwehr für wichtig. „Nur so kann die Zusammenarbeit im Einsatzalltag reibungslos funktionieren.“ Maxine, Finja und Marleen haben an diesem Abend viele neue Erfahrungen gesammelt. Die drei jungen Frauen bedanken sich bei der Feuerwehr Herford, die ihnen diese Möglichkeit geboten hätte. „Das ist nicht selbstverständlich!“

                                                                                                                           Von Jens Vogelsang

                                                                                                                           (Text u. Fotos)     

 

Stichwort: Notfallsanitäter-Ausbildung

Notfallsanitäter verfügen über die „höchste nichtärztliche Qualifikation im Rettungsdienst“. Sie sind darauf vorbereitet, schwere Erkrankungen und Verletzungen eigenständig zu behandeln und dürfen dabei auch bestimmte Notfallmedikamente eigenverantwortlich verabreichen. Die dreijährige Ausbildung ist umfangreich, anspruchsvoll, aber auch abwechslungsreich. Der theoretische Teil findet am Studieninstitut Westfalen-Lippe in Bielefeld statt, während die Praxis durch den Einsatzalltag auf der Feuer- und Rettungswache dazukommt. Die angehenden Notfallsanitäter absolvieren daneben ein mehrmonatiges Praktikum im Klinikum.

 

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Annika Nitschke vom DRK übernimmt die Rolle des Unglücksopfers und spielt ihre Rolle erschreckend realistisch.
"Hinweis: Es handelt sich um geschminkte Verletzungen"

 

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"Hinweis: Es handelt sich um geschminkte Verletzungen"

 

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"Hinweis: Es handelt sich um geschminkte Verletzungen"

 

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Mit einem Knebel, dem sog. Tourniquet, wird die Blutung gestoppt.

 

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Notarzt Marvin Deslandes koordiniert die weiteren medizinischen Maßnahmen.

 

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(v.l.) Sindy Kaminski (Rettungsdienst Herford) und Dr. Steffen Grautoff,
der ärztliche Leiter Rettungsdienst,  zählen zu den Übungsbeobachtern.

 

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Feuerwehrleute vom Löschzug Schweicheln-Bermbeck bereiten die technische Rettung vor.

 

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Geräteablage mit dem gesamten technischen Equipment


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Die Einsatzkräfte lösen die Antriebskette für das Schneidwerk.

 

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Bohlen werden herbeigeschafft, um die Haspel zu fixieren.

 

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Auf einem Rettungsbrett wird die Schwerverletzte in Sicherheit gebracht.

 

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Per Fahrtrage geht es zum Rettungswagen.

 

 

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(v.l.) Lars Riemann u. Sabrina Breder (Fa. Breder), Florian Rabeneck (Praxisanleiter), Marco Elmers (Einsatzleiter Feuerwehr),
Notarzt Marvin Deslandes, Maxine Lindemann (Auszubildende RD Herford, Finja Höfer (Auszubildende RD Herford),
Marleen Bitter (Auszubildende RD Herford) u. Lennart Wilkening (DRK Herford-Stadt)