Leitfaden für die Weiterentwicklung des Katastrophenschutzes

Kompetenzteam für den Katastrophenschutz erarbeitet Fünfzehn-Punkte-Plan

Hochwasser Erftstadt Blessem Sandra BartDüsseldorf. Sintflutartige Regenfälle führten im Sommer 2021 zur größten Naturkatastrophe in Nordrhein-Westfalen. Innenminister Herbert Reul entschied daraufhin, den Katastrophenschutz im Land neu aufzustellen. Im September 2021 nahm das „Kompetenzteam Katastrophenschutz“ seine Arbeit auf. Die Experten, darunter Vertreter der Feuerwehr und großen Hilfsorganisationen, erarbeiteten einen Fünfzehn-Punkte-Plan, der seit mittlerweile einem Jahr vorliegt. Jetzt wird an der Umsetzung gearbeitet: „Wir rasten nicht, wir geben Gas, um die Menschen in NRW noch besser zu schützen“, so Reul.

 

Die Bewältigung der Katastrophe hatte die an der Gefahrenabwehr beteiligten Behörden und Organisationen vor immense und teils noch nie dagewesene Herausforderungen gestellt. Am Ende war nicht zu übersehen, dass es Verbesserungsbedarf gibt. „Es gelang nicht immer, die an unterschiedlichen Stellen vorhandenen Daten an die richtigen Stellen weiter zu verteilen, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und Maßnahmen zu treffen“, heißt es im Abschlussbericht des 13-köpfigen Kompetenzteams, das der Minister eingesetzt hatte. Im Übrigen habe es zum Teil große Schwierigkeiten gegeben, in den betroffenen Gebieten rechtzeitig und konkret vor den zu befürchtenden Gefahren zu warnen. Der Fünfzehn-Punkte-Plan ist nun der Leitfaden für die Weiterentwicklung des Katastrophenschutzes. „Wir haben bereits Gelder bereitgestellt und Stellen geschaffen, um die Ideen und Vorschläge umzusetzen“, sagte der Innenminister.

 

Hochwasser Erftstadt Blessem Sandra BartJuli 2021: Die Menschen fliehen in Erftstadt-Blessem (Rhein-Erft-Kreis/NRW) vor der Jahrhundertflut.
(Foto: Sandra Bart, Wikipedia)

 

Hochwasser Bad Münstereifel SmigelBundeswehrsoldaten unterstützen die Aufräumarbeiten in Bad Münstereifel (Kreis Euskirchen/NRW).
Die Flut hat Defizite beim Katastrophenschutz aufgezeigt. (Foto: Smigel, Wikipedia)

 

Thema „Selbsthilfe“ gehört auf den Stundenplan

Um die Bevölkerung noch besser warnen zu können, fordert das Kompetenzteam ein „flächendeckendes Sirenenausbauprogramm“. Überall dort, wo noch keine Sirene vorhanden ist, könnte übergangsweise auf Kirchengeläut zurückgegriffen werden. Das Land hat reagiert und stellt in diesem Jahr zehn Millionen Euro für den Ausbau des Sirenennetzes zur Verfügung – wohl auch, weil der Bund seine Förderung eingestellt hat. Seit Mitte 2021 sind landesweit bereits mehr als 700 Sirenen neu hinzugekommen. Künftig werden die rund 6.000 NRW-Sirenen ausschließlich als Warnmedium für die Bevölkerung dienen, so wie im Abschlussbericht gefordert, und nicht mehr zur Alarmierung der Einsatzkräfte genutzt. Eine Verwechslung von Sirenensignalen wird dadurch vermieden. Außerdem wurde der Warnmix aus Sirenen, Handy-Apps, Meldungen über Funk- und Fernsehen sowie der Cell-Broadcast-Technologie zwischenzeitlich erweitert. Das Land nutzt nun zusätzlich die rund 1.200 Stadtwerbetafeln des Medienunternehmens Stöer, die an das Modulare Warnsystem (MoWaS) angeschlossen wurden, zur Bevölkerungswarnung,

Die Selbsthilfefähigkeit und das Gefahrenbewusstsein der Bevölkerung müsse weiter gestärkt werden, meint das Kompetenzteam. Die Experten, darunter Dirk Engstenberg (Kreisbrandmeister a.D. Rhein-Sieg-Kreis) und Andreas Klos (Leiter BF Krefeld), halten eine Integration in den Schulunterricht für nötig. „Insbesondere der Sachunterricht in den Grundschulen bietet eine ideale Möglichkeit, um das Thema Selbsthilfe im Stundenplan zu berücksichtigen.“ Die jährlichen Warntage könnten in Kindertagesstätten und Schulen durch Sicherheitstage mit einem erweiterten, zielgruppengerechten Informationsangebot flankiert werden. „In den weiterführenden Schulen sollte eine Selbstschutzausbildung verpflichtend eingeführt werden“, heißt es im Abschlussbericht weiter. Erste-Hilfe, Brandschutz und das Verhalten in Notfällen sollen zu den Unterrichtthemen zählen. Mit den NRW-Katastrophenschutztagen wird bereits die Sensibilisierung der Bevölkerung verfolgt. Die Veranstaltungen fanden 2021/2022 in Bonn, Dortmund und Krefeld statt. Am 26. August 2023 ist der nächste Katastrophenschutztag in Paderborn geplant.

 

DSC 0549NRW-Innenminister Herbert Reul will den Katastrophenschutz neu aufstellen. (Foto: Archiv Redaktion: kfv-herford.de)

 

IMNRW 210924 001Der Fünfzehn-Punkte-Plan des „Kompetenzteams Katastrophenschutz“ dient als Leitfaden.
(Foto: IM NRW, Jochen Tack)

 

Digitales System, das Informationen sammelt und sortiert, wird benötigt

Jede Organisation im Katastrophenschutz verfügt über ein eigenes Netzwerk für die Informationsweitergabe, das sich auf lokaler Ebene durchaus bewährt hat. Die Hochwasserkatastrophe hat allerdings verdeutlicht, dass bei einer Schadenslage, die mehrere Kommunen oder sogar mehrere Regierungsbezirke betrifft, ein ausreichend aussagekräftiges und aktuelles Lagebild auf Landesebene fehlt. Deshalb werde nach Feststellungen des Kompetenzteams ein digitales System benötigt, das katastrophenschutzrelevante Lageinformationen aus unterschiedlichen Quellen sammelt und sortiert. „Die Aufbereitung und Bewertung der Daten führt schließlich zu einer Risikoprognose, sodass nach einem Ampelsystem bestimmte Maßnahmen abgerufen werden können“, so die Ausführungen im Abschlussbericht. Auf diese Weise könnten beispielswese frühzeitig Kräfte in Bereitschaft versetzt oder Materialdepots besetzt werden.

Im Innenministerium entsteht zurzeit eine zentrale Landesstelle, um die Aufgaben des Landes im Katastrophenschutz zu bündeln. Das Projekt „VIDaL“ (Vernetzung von Informationen zur Darstellung der Landeslage) soll zudem dafür sorgen, dass die Krisenstäbe der Bezirksregierungen und des Innenministeriums mit den Leitstellen der Feuerwehren und des Rettungsdienstes alle lagerelevanten Informationen austauschen können – egal, welche Software vor Ort genutzt wird. „Zurzeit werden sechs kommunale Leitstellen im Rahmen eines Testbetriebs an das System angeschlossen“, heißt es aus dem Innenministerium.

 

Katastrophenschutzbedarfsplanung und Plattform für Laienhelfer

Bisher sind die Kreise und kreisfreien Städte unter anderem dazu verpflichtet, unter Beteiligung der Gemeinden Pläne für Großeinsatzlagen (Katastrophenschutzpläne) zu erstellen und spätestens alle fünf Jahre fortzuschreiben. Das Kompetenzteam empfiehlt, die Planungsaufgaben künftig um eine Katastrophenschutzbedarfsplanung zu ergänzen. Auf diese Weise soll, ausgehend von vorgegebenen Katastrophenszenarien und den örtlichen Gegebenheiten, die „Leistungsnotwendigkeit“ festgestellt werden.

Bürger, die vor Ort einen Beitrag zur Bewältigung der Katastrophe leisten möchten, treten oftmals überraschend und unkoordiniert auf den Plan. Deshalb halten die Experten die Entwicklung einer praxistauglichen Plattform zur „Aktivierung und Koordinierung“ von Spontanhelfern für erforderlich. Im Übrigen spricht sich das Kompetenzteam dafür aus, dass die Einbindung von Laienhelfern als auch professionelle Hilfsangebote Eingang in die Katastrophenschutzpläne finden müssen.

Satellitentelefone zur Sicherung der Kommunikationswege

Damit die kommunalen Einsatzkräfte im Katastrophenfall über ausreichend Ausrüstungsreserven verfügen, beschafft das Land in diesem Jahr zusätzliche Materialien für das Landeskatastrophenschutzlager. „Dazu zählen unter anderem Schutzkleidung zum Bekämpfen von Waldbränden, Zelte und Feldbetten“, heißt es aus Düsseldorf. Der Digitalfunk hatte sich während der Flutkatastrophe nicht ausreichend widerstandsfähig gegen Stromausfälle erwiesen. Deshalb sorgt das Innenministerium noch in diesem Jahr für eine flächendeckende Notstromversorgung. Außerdem werden, so wie vom Kompetenzteam vorgeschlagen, Satellitentelefone angeschafft, um die Kommunikationswege zu sichern.

Im Vergleich zum Vorjahr werden für 2023 zusätzlich 6,3 Millionen Euro im NRW-Haushalt für den Katastrophenschutz bereitgestellt. Die Mittel sind für die im Katastrophenschutz tätigen Hilfsorganisationen gedacht – sie dienen aber auch zur Finanzierung des Länderanteils für das gemeinsame „Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz“ von Bund und Ländern. (Redaktion: kfv-herford.de)

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