Mit Tempo 150 zum Gerätehaus!

Retter dürfen nicht verantwortungslos rasen

GeschwMessungMIKKreis Herford/Speyer/Neuburg. Geht es um Menschenleben oder sind erhebliche Sachwerte durch ein Feuer bedroht, zählt jede Minute. Die Retter nehmen in einem solchen Fall Sonderrechte im Straßenverkehr in Anspruch. Blaulicht und Martinshorn sind allerdings kein "Freibrief". Sie berechtigen den Einsatzfahrer also nicht zum verantwortungslosen "losbrettern", sondern verpflichten ihn vielmehr zu "größtmöglicher Sorgfalt". Das Amtsgericht Speyer hatte erst kürzlich über einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Feuerwehrmann mit Tempo 150 geblitzt worden war.

Der Vorfall ereignete sich im März 2014. In einem Industriebetrieb bei Ludwigshafen brannte es und an der Einsatzstelle wurden dringend Atemschutzgeräteträger gebraucht. Feuerwehrmann  Michael H. fuhr daraufhin mit seinem privaten PKW zügig von der Arbeitsstelle aus zum Gerätehaus seiner Heimatwehr in Speyer. Unterwegs wurde der Ehrenamtliche geblitzt. Er war mit 150 über die Bundesstraße 9 gerast. Erlaubt waren an der Stelle aber nur 100 Stundenkilometer. Michael H., der seit 19 Jahren Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist, sollte deshalb für vier Wochen den Führerschein abgeben und ein Bußgeld von 160 Euro zahlen. Das ließ sich der junge Mann allerdings nicht gefallen. Er berief sich auf Paragraph 35 der Straßenverkehrsordnung. Danach sind die Helfer der Feuerwehr von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) befreit, soweit das zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben dringend geboten ist. Paragraph 35 StVO findet auch auf Fahrten eines Feuerwehrangehörigen Anwendung, die dieser nach einer Alarmierung mit dem privaten PKW zurücklegt, um zum Gerätehaus zu kommen. Das ist durch die Rechtsprechung bereits seit geraumer Zeit anerkannt. Doch Achtung: Weil ein  Privatwagen ja nicht als Fahrzeug mit Sonderrechten erkennbar ist, gelten in einem solchen Fall besonders hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht. Werden keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet, so hat beispielsweise das Amtsgericht Gießen in seinem Urteil vom 29. Oktober 2013 eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 Stundenkilometern noch als maßvoll angesehen.
Im Fall des Michael H. kam das Amtsgericht Speyer nun ebenfalls zu der Überzeugung, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung zulässig war. Auf der (vierspurig ausgebauten) B 9 sei an diesem Tag nur wenig Verkehr gewesen und der Feuerwehrmann hätte trotz flotter Fahrt niemanden gefährdet, meinte der Richter. Als Michael H. geblitzt wurde, lag der Feueralarm jedoch bereits 37 Minuten zurück. In Anbetracht des Großbrandes stufte das Gericht die Geschwindigkeitsübertretung dennoch als vertretbar ein. Der Richter betonte allerdings, das Urteil sei "kein Freibrief für Feuerwehrleute". Das Tempo sei vielmehr an den jeweiligen Einsatzbefehl geknüpft.  Er stärkte mit seinem Urteil dem Ehrenamt den Rücken. Die Feuerwehren haben zunehmend Probleme damit, die Tagesalarmbereitschaft sicherzustellen, da viele Wehrleute auswärts arbeiten. In einem früheren Urteil hatte die Rechtsprechung die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit  nicht mehr als dringend geboten angesehen, wenn der Alarm zu einem Flächenbrand bereits rund 18 Minuten zuvor ausgelöst wurde.
In einem anderen Fall, der ebenfalls erst wenige Wochen zurückliegt, war einem Notarzt rücksichtloses Verhalten bei einer Blaulichtfahrt vorgeworfen worden. Alexander H. soll  auf dem Weg zu einem Kind, das Klebstoff verschluckt hatte und zu ersticken drohte, mehrere Autos in riskanter Weise überholt haben. Ein Autofahrer brachte den Fall bei der Polizeiinspektion in Neuburg an der Donau zur Anzeige. Alexander H. erhielt daraufhin einen saftigen Strafbefehl über 4500 Euro wegen Verkehrsgefährdung und sollte gleich für sechs Monate den Führerschein abgeben.  Der Fall schlug hohe Wellen. Tausende von Menschen forderten in einer Online-Petition den „Freispruch“ des Mediziners. Die Justizbehörde beugte sich schließlich dem Druck der Öffentlichkeit und hob den Strafbefehl „nach nochmaliger Prüfung des Sachverhaltes“ auf.
Bedacht werden muss allerdings: Je mehr sich der Einsatzfahrer über die allgemeinen Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht. Selbst wenn höchste Eile geboten ist und Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet sind, darf der Einsatzfahrer beispielsweise nicht rücksichtslos überholen oder auf „gut Glück“ in eine Kreuzung bei rotem Ampellicht einfahren. Er verletzt damit seine Sorgfaltspflicht. In einem besonders tragischen Fall verurteilte  das Landgericht Hamburg einen Feuerwehrmann zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Er hatte 2011 am Steuer eines Löschfahrzeugs gesessen, das auf einer Kreuzung in Hamburg mit einem Linienbus kollidierte. Bei dem Unfall gab es zwei Tote und 22 Verletzte zu beklagen. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs der Feuerwehr handele objektiv pflichtwidrig, wenn er bei eingeschalteten Sondersignalen (Blaulicht und Martinshorn) mit einer Geschwindigkeit von 63 Stundenkilometern auf eine für ihn rot beampelte Kreuzung zufahre und seine Geschwindigkeit zunächst nicht reduziere, urteilten die Richter damals.

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Feuerwehrleute sind im Alarmfall von den Vorschriften der StVO befreit.
Sie dürfen allerdings nicht verantwortungslos rasen.  (Foto: © MIK NRW)

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Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs darf die Verkehrsregeln nur mit der „größtmöglichen Sorgfalt missachten“. (Foto: Archiv KFV)

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War die Geschwindigkeitsüberschreitung dringend geboten? Darüber wird nicht selten vor dem Kadi gestritten.
Das Foto zeigt das Amtsgericht in Herford. (Foto: J. Vogelsang)